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FDP sieht sich im Aufwind

Marcel Fürstenau5. Mai 2013

Die Regierungspartei im Wechselbad der Gefühle: Führungsstreit beigelegt, Landtagswahlen erfolgreich, aber der Einzug in den Bundestag ist ungewiss. Nach dem Parteitag überwiegt dennoch die Zuversicht.

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Rainer Bruederle, top candidate of Germany's Free Democratic Party (FDP) receives applause of party leader Philipp Roesler after his speech during the second day of an extraordinary FDP meeting in Nuremberg May 5, 2013. Germany's Free Democrats fighting to renew their coalition with Angela Merkel's conservatives in September's election, could face damaging new splits when they thrash out a position on a minimum wage at their weekend congress. REUTERS/Kai Pfaffenbach (GERMANY - Tags: POLITICS)+++
FDP ParteitagBild: Reuters

Noch Anfang des Jahres lagen die deutschen Liberalen am Boden. Nur Optimisten glaubten an ein respektables Ergebnis bei der Bundestagswahl im kommenden Herbst. Wer im Januar unter dem Eindruck schlechter Umfragewerte gar eine Fortsetzung der Koalition mit Bundeskanzlerin Angela Merkel für möglich hielt, wurde belächelt. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht, obwohl die FDP in bundesweiten Umfragen weiterhin auf bestenfalls fünf Prozent kommt. Weniger wäre gleichbedeutend mit dem parlamentarischen Aus für die kleine Regierungspartei.

Der neue Glaube an die eigene Stärke ist mehr als Zweckoptimismus, das war auf dem Sonderparteitag in Nürnberg das ganze Wochenende über (04./05.05.2013) zu spüren. "Die FDP gewinnt keine Umfragen, aber sie gewinnt Wahlen", sagte der bayrische Wirtschaftsminister Martin Zeil durchaus zutreffend. Denn die FDP hat trotz gegenteiliger Vorhersagen der Meinungsforscher in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen Rekordergebnisse zwischen acht und knapp zehn Prozent erreicht.

Rösler nutzt unverhoffte Chance

Diese unerwarteten Erfolge auf Landesebene retteten dem lange heftig umstrittenen Bundesvorsitzenden Philipp Rösler (im Artikelbild) das politische Überleben. Auf einem vorgezogenen Parteitag Anfang März in Berlin wurde der Bundeswirtschaftsminister und Stellvertreter von Bundeskanzlerin Angela Merkel als FDP-Chef wiedergewählt. Und vor allem: Er bildet seitdem ein nach außen harmonisches Tandem mit dem Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion Rainer Brüderle. Rösler sitzt wieder fest im Sattel, und Brüderle ist das Zugpferd im Wahlkampf.

Rainer Brüderle, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion (Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach)
Zugpferd für den bevorstehenden Wahlkampf: Rainer Brüderle, Vorsitzender der FDP-BundestagsfraktionBild: Reuters

Vergessen sind die Grabenkämpfe Anfang des Jahres, als Entwicklungsminister Dirk Niebel offen Röslers Ablösung forderte. Auf dem Sonderparteitag in Nürnberg sagte Brüderle nun, es passe kein Blatt Papier zwischen ihn und Rösler. "Wir sind eine Mannschaft, die sich manchmal streitet, aber den richtigen Kompass hat." So schnell kann sich Existenzangst in Siegeswillen verwandeln. Und dass er bis zur Bundestagswahl am 22. September nicht verebbt - dafür ist Spitzenkandidat Brüderle zuständig. "Lieber Rainer, motivier' uns noch mal so richtig und rock die Hütte!" - mit diesen Worten wurde der 67-Jährige aufgefordert, auf dem Sonderparteitag den Wahlkampf einzuläuten.

Erfreuliche Momentaufnahme aus FDP-Perspektive

Brüderle nahm die Einladung dankbar an: "Schwarz-Gelb liegt in Umfragen vorn", rief der Bundestagsfraktionschef. Ein bemerkenswerter Satz von einem, der Prognosen von Meinungsforschern sonst zu Mustern ohne Wert erklärt. Natürlich verlor Brüderle kein Wort darüber, dass die FDP in den meisten Umfragen der vergangenen zwei Jahre meistens unter fünf Prozent blieb. Die aktuellen Zahlen sind also nicht mehr als eine aus liberalem Blickwinkel erfreuliche Momentaufnahme.

Tatsächlich aber hat sich die Aussicht auf vier weitere Regierungsjahre an der Seite Angela Merkels verbessert. Rainer Brüderle übernahm die Einschätzung der Bundeskanzlerin, dass die schwarz-gelbe Koalition "die beste Regierung seit der deutschen Wiedervereinigung" sei. Und forsch fügte der Spitzenkandidat hinzu, die FDP habe die Union besser gemacht. Auf der Habenseite verbuchte Brüderle die Aussetzung der Wehrpflicht, eine Stärkung der Bürgerrechte, den Bürokratieabbau in der Gesundheitspolitik und mehr Geld für die Bildungspolitik.

Das Bundeswirtschaftsministerium sei unter Führung der FDP wieder ein "ordnungspolitisches Kraftzentrum" geworden, sagte Brüderle. Als Belege führte er die Weigerung der Liberalen an, den kriselnden Automobilhersteller Opel und die inzwischen von der Bildfläche verschwundene Drogeriekette Schlecker mit Steuergeldern zu unterstützen. Was Kritiker der FDP als mitleidlosen Wirtschaftsliberalismus vorhalten, ist nach ihrem Selbstverständnis schon aus Gründen der Fairness gegenüber dem Mittelstand unvermeidbar.

Brüderle: Frankreich ist "Zeitbombe im Herzen Europas"

Und den in Deutschland traditionell starken Mittelstand verkörpert Brüderle seit Jahrzehnten. Lange Zeit war er Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz und für kurze Zeit auch in Merkels Kabinett. "Länder, die keine Mitte haben, sind immer in ihrer Freiheit bedroht", sagte er in Nürnberg. Für besonders gefährdet hält Brüderle Frankreich unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande. Die Zukunft Europas werde nicht in Athen und Nikosia entschieden, sondern in Frankreich, sagt er.

Peer Steinbrück bei Francois Hollande am 05.04.2013 in Paris (Foto: dpa)
Ziele der FDP-Wahlkampfattacken: SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück (li.) und Frankreichs Präsident HollandeBild: picture-alliance/dpa

Und hohe Arbeitslosigkeit dort und Schulden sowie fehlende Wettbewerbsfähigkeit bereiteten ihm Sorgen: Deutschlands Nachbar sei die "Zeitbombe im Herzen Europas", zitierte Brüderle die britische Wirtschaftszeitung "Economist". Einer Vergemeinschaftung der Schulden erteilte er eine klare Absage. Das wäre "Schuldensozialismus", sagte der 67-Jährige. Die FDP sei das "Bollwerk gegen Eurobonds".

SPD-Kanzlerkandidat ein "brutaler Steuererhöher"

Wortwahl und Themen Brüderles ähnelten oft denen von Partei-Chef Philipp Rösler tags zuvor. Das bekamen vor allem Sozialdemokraten und Grüne zu spüren, die Angela Merkels schwarz-gelbe Koalition ablösen wollen. SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück sei ein "brutaler Steuererhöher", der die Bürger 40 Milliarden Euro kosten werde, warnte Brüderle vor einer Neuauflage des von 1998 bis 2005 regierenden Bündnisses. Pläne der Grünen, Steuervorteile für Ehepartner abzuschaffen, bezeichnete er als "Enteignungsprogramm für die Fleißigen und Familien in Deutschland".

Weil Rot und Grün zusammen keine eigene Mehrheit hätten, würden sie für ihre "Umverteilungsphantasien" ein Bündnis mit der Linken schmieden, behauptete Brüderle. Dass sich die FDP ihrerseits im Falle einer rechnerischen Mehrheit auf eine Koalition mit SPD und Grünen einlassen könnte - davon wollte in Nürnberg niemand etwas wissen. Die FDP wolle die erfolgreiche Koalition mit der Union fortsetzen, hatte schon Parteichef Rösler in seiner Rede betont. Die Wunschkoalition strebe man "nicht aus ewiger Liebe und Zuneigung" an, sondern weil es Deutschland mit der bürgerlichen Koalition gut gehe.