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Fehlerhaftes Wahlrecht in Schleswig-Holstein

30. August 2010

Das Landesverfassungsgericht in Schleswig-Holstein hat Neuwahlen bis September 2012 angeordnet. Das Wahlrecht sei verfassungswidrig. Damit gibt das Gericht einer Klage der Opposition im Landesparlament statt.

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In kreisform angeordnete Tische und Stuhlreihen im Sitzungssaal des Landtags in Kiel (Foto: AP)
Das Schleswig-Holsteinsche Landesparlament in Kiel - Spätestens 2012 werden die Sitze neu verteiltBild: AP

Es ist ein äußerst seltener Vorgang. Erst einmal erklärte ein Verfassungsgericht eine Wahl für verfassungswidrig und forderte Neuwahlen. Das war 1993 im Stadtstaat Hamburg und Grund damals war eine undemokratische Kandidatenkür in der CDU (Christlich Demokratische Union).

Auch im Fall Schleswig-Holstein steht die CDU im Fokus, weil sie, wie nun feststeht, unrechtmäßig regiert. Seit der Wahl im September 2009 führt die CDU im Bündnis mit der FDP (Freie Demokratische Partei) die Landespolitik in Schleswig-Holstein an. Dabei hatten die beiden regierenden Parteien nicht die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen. Die Schuld liegt nicht bei den Parteien, sondern beim fehlerhaften Wahlrecht in Schleswig-Holstein.

Das Schleswig-Holsteinsche Wahlrecht

Wie im deutschen Wahlrecht allgemein üblich, werden auch in Schleswig-Holstein bei Wahlen zwei Prinzipien kombiniert. Jeder Wähler hat zwei Stimmen. Die erste Stimme gibt man einem einzelnen Kandidaten, den man direkt ins Parlament wählen möchte. Der Kandidat, der die meisten Stimmen in einem Wahlkreis bekommt, zieht ins Parlament ein. Dies ist ein so genanntes Direktmandat. Mit der zweiten Stimme entscheidet sich der Wähler für eine der Parteien im Land. Die Zahl der Zweitstimmen entscheidet, wie stark die Partei im Parlament vertreten ist. Die Sitze werden entsprechend des Stimmenverhältnisses verteilt. Die Kombination der Wahl von Direktmandaten und der Wahl von Parteien wird auch "personalisierte Verhältniswahl" genannt.

Erringt nun eine Partei in den Wahlkreisen mehr Direktmandate, als ihr Plätze durch die Zweitstimmen zustehen, bekommt sie so genannter Überhangmandate. Das Stimmenverhältnis muss jedoch gewahrt bleiben. Jedes Bundesland handhabt diese Herausforderung anders. Häufig bekommen die übrigen Parteien im Gegenzug Ausgleichmandate, um dem Stimmenverhältnis der Wahl gerecht zu werden.

Die Besonderheit in Schleswig-Holstein: Die Parteien bekommen zum Ausgleich maximal die doppelte Zahl der Überhangmandate, egal wie das Stimmenverhältnis aussieht. Die genaue Zahl bestimmt die Wahlleitung. Das führte zu einem umstrittenen Ergebnis bei der Wahl 2009.

Peter Harry Carstensen im Kieler Landtag (Foto: AP)
Trotz Stimmennachteil: Peter Harry Carstensen (CDU) regiert Schleswig-Holstein mit einem Bündnis von CDU und FDPBild: AP

Rechnungen, die nicht aufgehen und ein einstimmiges Urteil

Bei der Landtagswahl am 27. September 2009 hatten die CDU und die FDP zusammen etwa 27.000 Stimmen weniger erhalten als ihre politischen Gegner im Parlament. Die CDU hatte jedoch elf Überhangmandate gewonnen. Drei dieser Überhangmandate sind nicht ausgeglichen worden. Am Ende hatte die CDU mit der FDP zusammen exakt einen Sitz mehr als die gegnerischen Parteien und regiert das Land seitdem. Die Parteien SSW (Südschleswigsche Wählerverband) und Grüne zogen deshalb vor das Landesverfassungsgericht (LVG) in Schleswig.

Das Landesverfassungsgericht hat das Wahlgesetz nun am Montag (30.08.2010) einstimmig für verfassungswidrig erklärt. Vor allem sei die Verteilung der Mandate durch das aktuelle Wahlrecht fehlerhaft. "Der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit wird deutlich verfehlt", verkündete Gerichtspräsident Bernhard Flor. Bis Mai 2011 muss der Landtag ein neues Wahlgesetz erlassen, welches die Entstehung von Überhang- und Ausgleichsmandaten weitgehend verhindert. Die Anzahl der Wahlkreise - derzeit sind es 40 - könnte zum Beispiel verringert werden.

Heftige Debatten um die Neuwahlen erwartet

Für den Ministerpräsident Peter Harry Carstensen von der CDU bedeutet das Urteil zunächst, dass er und seine Partei zusammen mit der FDP weiterregieren können. Carstensen zeigt sich nicht unter Druck. Die wichtigste Aufgabe sei jetzt die Konsolidierung des Haushalts, sagt er. Die anstehende Neuwahl wird sich jedoch stark auf das tagespolitische Geschehen auswirken. Es wird lange und heiße Diskussionen um das neue Wahlgesetz sowie um den Zeitpunkt der Wahl geben.

Grüne und SSW sind mit dem Urteil zufrieden, aber fürchten, dass CDU und FDP die Wahl möglichst weit nach hinten verschieben werden. "Es wird wahrscheinlich auf Zeit gespielt", meint Robert Habeck von den Grünen dazu. Seine Partei fordert frühe Wahlen, möglichst schon im Herbst 2011. Für die Vorsitzende des SSW, Anke Spoorendon, gilt: "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit". Sie visiert Anfang 2012 für eine Neuwahl an.

Autor: Lena Retterath (mit dapd/apn)
Redaktion: Klaudia Prevezanos