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Finale Grande?

21. November 2001

Beerdigungen im großen Stil sind selten geworden. Sozialgräber und anonyme Urnenfelder prägen zunehmend die Friedhöfe. Ein neuer Trend deutet sich an.

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Bild: bilderbox

Von den bundesweit rund 900.000 Bestattungen allein im Jahr 2000 wurden nach Angaben der Verbraucherinitiative für Bestattungskultur "Aeternitas e.V." (Bonn) rund drei Prozent vom Sozialamt finanziert, weil die Verstorbenen arm waren. Mehr als 15 Prozent der Beigesetzten blieben anonym.

"Die Übernahme von Bestattungskosten durch die Sozialhilfeträger wird in Zeiten zunehmender Armut, gerade unter alten Menschen, immer bedeutsamer", sagt Professor Klemens Richter vom Seminar für Liturgiewissenschaften an der Universität Münster. Das Sozialhilfegesetz mache zum Umfang der vom Sozialamt zu tragenden Leistungen jedoch keine genauen Angaben, erklärt Renate Nixdorf, Sprecherin von Aeternitas. Lediglich ein einfacher Kieferholzsarg oder eine schlichte Urne, das Einsargen oder Einäschern, ein Reihengrab inklusive Holzkreuz, die Beisetzung sowie der ortsübliche Grabschmuck seien gerichtlich anerkannte Bestandteile und müssten bezahlt werden.

Ist Würde bezahlbar?

In der Regel kennzeichne nur ein einfaches, nach ein paar Jahren verwittertes Holzkreuz eine notdürftig gepflegte Grabfläche. "Häufig gleicht die Sozialbestattung einer reinen Entsorgung menschlicher Leichen", klagt Professor Richter. Die Würde des Menschen müsse aber auch über den Tod hinaus gewahrt werden und dürfe nicht finanziellen Erwägungen zum Opfer fallen.

Frisches Grab auf einem Friedhof
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Im Gegensatz zu den Angehörigen der Mittellosen, die zumindest die genaue Grabstelle kennen, bleibt den Hinterbliebenen eines anonym Bestatteten nur der schweifende Blick über eine schmucklose, umzäunte Rasenfläche. Darunter liegen irgendwo die Überreste des Verstorbenen begraben. Die Zahl der anonymen Bestattungen ist nach Angaben von Aeternitas seit 1992 um etwa zehn Prozent auf mehr als 135.000 gestiegen. Immer mehr Menschen aller sozialen Schichten würden zu Lebzeiten den Wunsch äußern, sich anonym in einer gekennzeichneten Gemeinschaftsanlage, üblicherweise einem Urnenfeld, beerdigen zu lassen. Bei dieser Bestattungsform, die bis zum 19. Jahrhundert die gesellschaftliche und kirchliche Ächtung eines Menschen zum Ausdruck brachte, werden genauer Ort und Zeit des Begräbnisses nicht bekannt gegeben. Nur das örtliche Friedhofsamt kennt die genaue Stelle.

"Sozialer Tod" ist oft der Grund von anonymen Bestattungen

"Hinter dem gewünschten Verschwinden - ohne Begleitung, ohne Namen, ohne Erinnerung - verbergen sich oftmals tiefer liegende Probleme", sagt Professor Richter von der Universität Münster. Viele hätten schon den "sozialen Tod" hinter sich, fühlten sich einsam und wertlos. Andere empfänden Friedhöfe als nichts sagende Steinwüsten und den Bestattungsritus als spießig und konservativ. Der überwiegende Teil wolle seinen Angehörigen jedoch einfach nur die aufwendige Grabpflege ersparen.

Grablicht und Rose
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Besonders in Norddeutschland und in den neuen Bundesländern sind Grabsteine und traditionelle Trauerfeiern immer weniger gefragt. So lässt sich in Hamburg bereits jeder Vierte, in Erfurt jeder Zweite anonym bestatten. Im sächsischen Plauen sind es sogar 70 Prozent. In Berlin sind 37 Prozent der Begräbnisse anonym. "In fünf Jahren wird es die Hälfte sein. Dann wird der Großteil der Friedhöfe aus großen Rasenflächen bestehen - wie auf dem Golfplatz", sagte Thomas Konitzky vom Statistischen Landesamt Berlin voraus.

"Die Auswirkungen einer anonymen Bestattung sollten nicht unterschätzt werden", warnt der Geschäftsführer beim Bundesverband des deutschen Bestattungsgewerbes, Rolf Lichtner. Die anonyme Bestattung erspare den Hinterbliebenen zwar die Grabpflege, nehme ihnen aber zugleich den Ort der Trauer und notwendigen Auseinandersetzung mit dem Schmerz. Es käme daher häufig vor, dass die Angehörigen die Anonymisierung später wieder rückgängig machen wollten und beim Friedhofsamt die kostenträchtige Umbettung in ein reguläres Grab beantragten.(pf)