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Flüchtlingsflut

15. August 2003

- Wird das neue Ausländer- und Einwanderungsgesetz Polen besser vor illegalen Einwanderern schützen?

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Warschau, 7.8.2003, POLITYKA, poln

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Die Tatsache, dass sich die Grenze Polens zu den Nichtmitgliedern der Europäischen Union auf einer Strecke von insgesamt 1 200 Kilometer erstrecken wird, sorgte für Schrecken unter den EU-Beamten bei den Beitrittsverhandlungen. Durch unser Land verläuft immer noch eine Schleuse des Menschenschmuggels. Polen wird für viele Flüchtlinge zum Zielgebiet. Im September wird das neue Einwanderungsgesetz in Kraft treten. Dieses Gesetz soll den anhaltenden Ansturm von (...) Flüchtlingen eindämmen. Unserem Reporter ist es gelungen, Kontakt zu den Menschenschmugglern zu knüpfen. (...)

Auf den Schmuggelrouten ändern sich nur die Details, d. h. konkrete Stellen, an denen die Grenze überschritten wird, sowie die Schlepper, die den niedrigsten Rang in der Schmuggler-Hierarchie einnehmen. Sie werden früher oder später gefasst. Die echten Bosse aber, die über internationale Kontakte verfügen, können sich einer Festnahme durch den Grenzschutz sogar über mehrere Jahre entziehen.

In das reiche Europa führen mehrere Wege. Die eine Route verläuft über das Meer von Afrika zur Südküste Spaniens und Frankreichs. Die zweite vom Balkan über die Türkei nach Italien und die dritte aus Asien und dem Nahen Osten über die Slowakei und Tschechien nach Deutschland sowie über Polen nach Skandinavien und Deutschland. Polen wurde aber inzwischen für viele Flüchtlinge zum Zielgebiet. Dabei handelt es sich vor allem um Vietnamesen, Armenier und Tschetschenen.

Anfang der neunziger Jahre galten die Ostgrenzen Polens und Deutschlands als Grenzen, die man leicht passieren konnte. Die kommunistischen Staaten haben sich nämlich hauptsächlich auf den Schutz ihrer Westgrenzen konzentriert. Richtung Osten flüchteten nur wenige Deserteure der Einheiten der Roten Armee, die in verschiedenen Staaten des Ostblocks stationiert waren. Darüber hinaus war auch die polnische Ostgrenze fast ungeschützt. Auf der anderen Seite des Flusses Bug dagegen verlief die berühmt–berüchtigte sowjetische "Sistema", eine Mauer des Gefängnisstaats, mit vielen Kontrollpunkten, Lampen, Fallen, die auf Druck oder auf Infrarotlicht reagierten... Nach dem Zerfall des Sowjetimperiums ist auch die "Sistema" verfallen. (...)

Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hat sich die Lage um 180 Grad geändert und der Schutz der Ostgrenze wurde zur Prioritätsaufgabe, und zwar sowohl für den polnischen als auch für den deutschen Grenzschutz. Seit Jahren werden dort 90 Prozent der gesamten Investitionen getätigt sowie 90 Prozent der gesamten Mannschaft und Geräte platziert. Nach der Aufnahme Polens in die Europäische Union wird die Grenze Polens zu Russland, Weißrussland und zur Ukraine zur längsten Außengrenze der EU werden, die sich auf insgesamt 1185 km erstreckt.

Bei den Beitrittsverhandlungen hat sich Polen verpflichtet, diese Grenze zusätzlich zu schützen. Bis zum Jahr 2006 sollen 21 neue Grenzposten entstehen und etwa 5300 neue Grenzschutzbeamte eingestellt werden. 80 Prozent von ihnen werden an der Ostgrenze dienen.

Der armenische Vermittler aus Lodz bringt die Menschen zu Witek, die nach Polen über die sogenannte armenische Schleuse geschmuggelt wurden, d. h. über die Grenze zum Bezirk Kaliningrad (Königsberg). Bis zu dieser Stadt kommen die Armenier legal per Flugzeug. Eine billige Flugverbindung zwischen Kaliningrad und Erewan kostet 120 Dollar. Die grüne Grenze wird in kleinen Gruppen zu fünf Personen gleich neben dem Grenzübergang Gronowo passiert. Der Armenier behauptet, dass die Schlepper ein "Abkommen" mit dem Grenzschutz haben. Sie passieren die Grenze immer nachts, und zwar entweder am Donnerstag oder am Freitag.

Diese Schleuse wird von zwei jungen Armeniern "geleitet", die seit Jahren in Polen leben und legale Aufenthaltsgenehmigungen besitzen. Sie haben das dreißigste Lebensjahr noch nicht überschritten, wuchsen in Polen auf, sprechen die Sprache gut und fühlen sich heimisch in Polen. Ihre Eltern kehrten nach einigen Jahren Handel auf den Märkten nach Hause zurück. Sie jedoch sind geblieben. Sie verlangen 1100 Dollar pro Person. Die Flüchtlinge durchqueren zuerst einen Wald an der Grenze. Dann werden sie mit dem Bus nach Elblag transportiert. Später müssen sie aber alleine weiter kommen. Sie bekommen nur Kontakt zu einem Vermittler, der ihnen die Handynummer von Witek und das Kennwort nennt. Witek soll in Sulechow (Züllichau) wohnen, aber er verabredet sich mit seinen Kunden in Gubin (Guben) oder in Swiebodzin (Schwiebus) (an der Westgrenze Polens - MD). Er kassiert 1100 Dollar pro Person. Die Menschen werden in Bungalows an einem See (...) untergebracht, wo sie auf den Tag des Grenzübertritts warten. (...)

Die Oder wird in der Nähe des Nationalparks in Cedynia (Zehden) überquert. Witek bringt die Gruppe der Flüchtlinge in die Gegend des Dorfes Siekierki (Zäckerich), wo sie von einem der Schlepper übernommen wird. Sie pumpen schnell die Gummiboote auf, auf denen der Schlepper und die Kinder fahren dürfen. Falls noch Platz übrig bleibt, können auch andere drauf, aber nur die, die 200 Dollar extra bezahlen. Die anderen Flüchtlinge halten sich an dem Gummiboot fest und schwimmen quer über den Fluss.

In Deutschland werden diese Menschen von einem "Türken" übernommen, der in Wirklichkeit aus Turkmenistan stammt aber über einen deutschen Pass und einen Wagen mit deutschem Kennzeichen verfügt. Für die Fahrt ins Innere Deutschlands kassiert er 400 Dollar pro Person. Diejenigen Flüchtlinge, die einen Anhaltspunkt in Deutschland haben, fahren nach Berlin. (...) Die Anderen, die niemanden haben, melden sich als Flüchtlinge bei einer der Vertretungen des Deutschen Roten Kreuzes. Wichtig ist dabei, dass sie das im Inneren Deutschlands tun, weil die Flüchtlinge von dort selten sofort zurück nach Polen geschickt werden. In der Nähe der Grenze wird dies aber anders gehandhabt.

Im letzten Jahr wurden 3000 Personen vom Grenzschutz festgenommen, die die polnische Grenze illegal passiert haben, d. h. 600 Personen weniger als 2001. Es handelte sich dabei vor allem um Ukrainer, Afghanen, Chinesen, Vietnamesen, Rumänen, Inder und Bürger Russlands, d. h. Tschetschenen oder Personen, die sich als Tschetschenen ausgaben. (...)

In den letzten Jahren war die polnisch-ukrainische Grenze das heißeste Pflaster. Vor allem deswegen, weil die Ukraine erst vor Kurzem die Genfer Konvention ratifizierte. Die Flüchtlinge wussten einerseits darüber Bescheid, dass sie - falls sie ertappt werden – nicht in die Ukraine zurückgeschickt werden. Man kann keinen Menschen in ein Land deportieren, das die Genfer Konvention nicht unterzeichnet hat. Andererseits hat die Ukraine das bereits unterzeichnete Abkommen mit Polen über die Rücknahme von Flüchtlingen völlig ignoriert. Dort wurde niemand mehr aufgenommen, der die ukrainische Grenze einmal passiert hatte. (...) Heute sind die Flüchtlinge gezwungen, einen Umweg zu nehmen, der über die Ukraine, die Slowakei, Polen und Tschechien nach Deutschland führt. (...)

Am 1. September tritt das neue Gesetz über Ausländer und den Schutz von Ausländern in Kraft. Das Gesetz wird es einerseits den illegalen Einwanderern erleichtern, sich in Polen niederzulassen, andererseits jedoch wird dadurch die Wirksamkeit des polnischen Grenzschutzes gestärkt.

Diejenigen Ausländer, die vor dem 1. Januar 1997 nach Polen illegal eingereist sind und in der ganzen Zeit nicht in Konflikt mit dem Gesetz gerieten und sich bis zum Ende dieses Jahres bei den Behörden melden, werden ihren Aufenthalt legalisieren können.

Außerdem ist noch in dem Gesetz der sogenannte "geduldete Aufenthalt" vorgesehen, der denjenigen gewährt werden kann, die zwar kein Asyl bekommen haben, aber aus verschiedenen Gründen nicht ausgewiesen werden können.

Dem Grenzschutz wird durch die neuen Gesetze das Recht gewährt, mit Zustimmung eines Gerichtes die ertappten illegalen Einwanderer viel länger unter Arrest zu halten als bisher, d. h. nicht mehr maximal drei Monate, sondern ein ganzes Jahr.

"Die ertappten illegalen Einwanderer haben niemals Papiere bei sich. Sie werden in geschlossenen Heimen untergebracht, bis ihre Personalien geklärt sind. In den Fragebögen machen sie unsinnige Angaben. Manchmal schreiben sie beim Vornamen "Hund" und beim Nachnamen "Katze". Sie wissen Bescheid, dass sie nicht ausgewiesen werden können, solange ihre Personalien nicht festgestellt worden sind. Sie wissen auch, dass sie spätestens nach 90 Tagen vom Grenzschutz wieder freigelassen werden müssen", erklärt Oberst Jaroslaw Zukowski (...) und fügt hinzu: "Es kommt sogar vor, dass wir dieselben Personen drei Mal nacheinander festnehmen, wenn sie versuchen, die Grenze illegal zu passieren".

In diesem Jahr wurden schon über 3000 Asylanträge gestellt. Im letzten Jahr waren es 5000. Unter den Asylbewerbern dominieren Vietnamesen, Iraner, Iraker, Chinesen, Armenier und Ankömmlinge aus Sri Lanka. Die meisten Anträge werden von denjenigen gestellt, die beim Versuch, die Grenze illegal zu passieren, ertappt wurden. (Sta)