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Flüchtlingshilfe endlich ordnen

Kay-Alexander Scholz, Berlin17. März 2016

In Deutschland befassen sich tausende Menschen mit der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Darum ging es beim ersten "Zukunftskongress Migration und Integration" mit der guten Nachricht: Genug Geld ist da.

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Berlin Zukunftskongress Migration und Integration 2016 Frank-Jürgen Weise
Bild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka

600 Teilnehmer hatten sich für den ersten "Zukunftskongress Migration und Integration" in Berlin angemeldet. Es gab offensichtlich viel Gesprächsbedarf bei denen, die Flüchtlinge unterbringen, ihnen helfen oder das Drumherum - freiwillig oder nicht - organisieren.

Inzwischen haben viele Landkreise oder Städte eigene Flüchtlingsbeauftragte ernannt. Sie trafen auf freiwillige Helfer und Unternehmer, die Hilfe-Apps oder Online-Sprachkurse entwickeln. An Universitäten wird geforscht, dutzende Pilotprojekte laufen im ganzen Land.

Eine Botschaft des Kongresses: Auch wenn die Wahlerfolge der AfD den gegenteiligen Eindruck hinterlassen mögen: Die Willkommenskultur in Deutschland lebt. Sie hat ihre erste ungeordnete Phase hinter sich gelassen. Nun wird systematisch angepackt.

Zahlen und Fakten: "Keine Überflutung"

Die Teilnehmer konnten aus erster Hand erfahren, wie die aktuelle Lage ist: 1,2 Millionen Flüchtlinge seien im Land, sagte Frank-Jürgen Weise, Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). 660.000 hätten eine Bleibeperspektive. 540.000 Menschen werden Deutschland wieder verlassen müssen. Eine "Überflutung" sei das wohl nicht.

Weise ist auch Chef der Bundesagentur für Arbeit. Deshalb nannte er auch zum Arbeitsmarkt neue Zahlen: 70 Prozent der Flüchtlinge, die bleiben dürfen, seien erwerbsfähig, also rund 460.000. Weil viele von ihnen noch sehr jung seien, erwarte er "nicht so viele" Nachkommende über den Familien-Nachzug. Die Hälfte habe die Absicht, wieder nach Syrien zurückzukehren - allerdings zeige die Erfahrung, dass der tatsächliche Anteil geringer sein werde.

Der Behördenchef warb für einen nüchternen Blick auf die Situation und deren Folgen: Die Flüchtlinge würden das demografische Problem nicht lösen, so Weise. Deutschland werde deshalb, um den Fachkräftemangel auszugleichen, weitere gezielte Einwanderung brauchen.

Berlin Zukunftskongress Migration und Integration 2016 Frank-Jürgen Weise (Foto: dpa)
BAMF-Chef Frank-Jürgen WeiseBild: picture-alliance/dpa/B. v. Jutrczenka

Doch wie steht es um die berufliche Qualifikation der Flüchtlinge? Weise schätzt, dass 10 bis 15 Prozent von ihnen gut qualifiziert sind. Andere hätten zwar keinen dualen Ausbildungsgang durchlaufen. Das heiße aber nicht, dass sie keine berufllichen Kompetenzen hätten. Die Alphabetisierungsrate betrage mehr als 90 Prozent.

Entscheidend sei die Sprache, mahnte Weise und nannte vor allem die Fähigkeit, auf Deutsch schreiben zu können. Ohne schriftliche Prüfungen könnten Ausbildungsgänge nicht abgeschlossen werden. Weise sprach sich dafür aus, dass Flüchtlinge von Anfang an einen Anspruch auf Deutschkurse haben, egal ob sie ein Bleiberecht bekommen oder nicht. Das seien keine Kosten, sondern Investitionen, so Weise.

Das BAMF hat in der Flüchtlingsfrage die Unternehmensberatung McKinsey zu Rate gezogen. Deren Vertreterin Solveigh Hieronimus machte den Vorschlag, die Flüchtlinge früh für den Arbeitsmarkt einzuteilen. Das könne heißen, manche Flüchtlinge zügig auf Helfer-Tätigkeiten auszurichten und keine "zehnjährige Fachkräfte-Nachschulung" zu beginnen.

Asyl-Entscheid nach drei Monaten

Bis Ende des Jahres könne das Migrationsamt alle ausstehenden Asylanträge bearbeiten, falls 2016 nicht mehr als eine halbe Million Flüchtlinge dazu kämen, versprach Weise. Bei Neu-Anträgen werde die Bearbeitungsdauer auf unter drei Monate sinken, was dann guter Standard in Europa sei. In Frankreich dauerten Asylverfahren 15 Monate, in der Schweiz 6 bis 7 Monate. Für Altfälle dauerten die Verfahren in Deutschland im Schnitt 5 Monate.

Viele Kommunalpolitiker meldeten sich zu Wort. Sie müssten schließlich die Kita-Plätze, Wohnungen und Lehrer zur Verfügung stellen. Sie seien es, die mit den Vorbehalten der Einheimischen umgehen müssen, mit dem Gefühl, die Flüchtlinge würden gegenüber anderen Gruppen bevorteilt.

Auch an sie war die Aussage des Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, Werner Glatzer, gerichtet: Am Geld werde die Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht scheitern, so Glatzer. Bund und Ländern gehe es finanziell gut. Neue Schulden ständen nicht zur Debatte. Allerdings würden sich die Prioritäten beim Geldausgeben verändern.

Die Mc-Kinsey-Vertreterin schätzte, dass 40.000 neue Kita- und 100.000 Schulplätze sowie 6000 Lehrer mehr in diesem Jahr gebraucht würden. Sollten in den kommenden Jahren viele neue Flüchtlinge kommen, reiche das natürlich nicht aus.

Zur Sprache kam ein bekanntes Problem: Verfassungsrechtlich gibt es keine Möglichkeit, dass der Bund die Kommunen direkt finanziell unterstützt. Hier ist immer der "Umweg" über die Bundesländer nötig. Doch die geben die Gelder nicht unbedingt weiter. Einen Änderungsvorschlag des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, so Staatssekretär Glatzer, hätten die Länder aber mit 16:0 abgelehnt. Die Kommunen haben das Nachsehen.

Noch viel zu tun

Obwohl die Bundesregierung schon zwei Asylpakete mit neuen Gesetzen verabschiedet hat, bleibt vieles noch zu regeln. Ein weiteres Problem, das der Kongress diskutierte: Die Flüchtlinge werden zwar gleichmäßig über das Land verteilt, wandern aber häufig in Städte oder Ballungszentren weiter.

Behördenchef Weise schlug eine Wohnortzuweisung für drei Monate vor. Ein Vorschlag aus dem Publikum lautete sogar drei Jahre. Weise wümscht sich dazu ein Signal aus den Gemeinden und Städten.

Und dann ging es noch um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Derzeit lebten in Deutschland 210.000 Ausreisepflichtige, so Christian Klos, Beauftragter für Rückführung im Bundesinnenministerium. Diese Zahl werde um mehrere Hundertausend steigen. Das werde eine riesige Herausforderung.

Zum Vergleich: Im Jahr 2015 habe man nur 20.000 Rückführungen geschafft. Warum? Weil die zuständige Bundespolizei auf die Zusammenarbeit mit der Polizei der jeweiligen Bundesländer angewiesen sei, die aber teilweise mit dem schwierigen Thema sehr zurückhaltend umgingen. Ein Umdenken sei nötig.

Den jüngst gemachten bayerischen Vorschlag, hunderttausende Abschiebungen auf einmal zu veranlassen, wies der Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Ernst G. Walter als nicht machbar zurück. Schließlich würden derzeit noch viele Abschiebungen scheitern, so Walter. In Niedersachsen beispielsweise habe die "Storno-Quote" im letzten Jahr 70 Prozent betragen.