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Flatrate gegen Online-Piraten?

23. Juni 2010

Produktpiraterie im Internet verursacht immense Schäden in der Film-, Musik- und Buchbranche: Das Urheberrecht ist völlig veraltet. Das soll anders werden, meint Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

https://p.dw.com/p/O0Bj
Laptop, auf dem Bildschirm hinter einem @-Zeichen ist ein Mann mit Waffe zu erkennen (Montage: DW/Steinmetz)
Bild: Bilderbox.com/DW-Montage

Hand aufs Herz. Sind Sie ganz sicher, dass Sie heute noch kein Verbrechen begangen haben? Nein, es geht nicht um die ganz großen Untaten, sondern: hier mal einen Song kopiert, ein paar Zeilen aus Wikipedia kommentarlos in den eigenen Vortrag integriert, das Motiv eines berühmten Fotografen für die eigene Pinnwand ausgedruckt? Das macht Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Sorgen. Sie hat sich deswegen in einer Grundsatzrede dem Urheberrecht gewidmet. Ihre Diagnose: "Jeder Internetnutzer gerät heute ständig mit dem Urheberrecht in Berührung: Darf ich dieses Bild kopieren, diesen Text nutzen, jene Datei herunterladen. Die leichte Verletzlichkeit des Urheberrechtes und die Komplexität des geltenden Rechts verunsichern auch jene, die es respektieren wollen."

Vernichtung von Arbeitsplätzen

Porträt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Justizministerin Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerBild: picture-alliance/Sven Simon

Inzwischen vernichten illegale Downloads und Tauschbörsen für Filme, Musik und Bücher zehntausende Arbeitsplätze – so eine Studie der Internationalen Handelskammer. Allein für das Jahr 2008 kommt sie auf 34.000 verlorene Arbeitsplätze und 1,2 Milliarden Euro Verlust. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat bereits in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie sich dieser Problematik annehmen will und das Urheberrecht an die Erfordernisse des Internetzeitalters anpassen möchte.

Dennoch will die FDP-Ministerin User auf Abwegen nicht vorschnell verurteilen. Sie will vermitteln zwischen den Interessengruppen: Da sind diejenigen die argumentieren, das Urheberrecht sei von gestern, heute sei Internet und da werde eben einfach kopiert – Stichwort Informationsgesellschaft. Und da sind Verleger und Autoren, Fotografen und Designer, die auf ihre Arbeit verweisen und klarmachen, dass ihre Werke nicht einfach rauf- und runtergeladen werden dürfen. In diesem Streit bricht die Justizministerin eine Lanze für die Urheber selbst: "Bei allen Überlegungen muss der Kreative, der Wertschöpfer im Mittelpunkt stehen. Niemand sonst gehört an diese Stelle. Weder der Provider, der damit Geld verdient, noch der User, der mit der Gratisnutzung sparen will". Wie das indes funktionieren soll, ließ die Ministerin in ihrer Rede offen.

Keine Netzsperren

Mann sitzt am Bildschirm und hört Internetradio (Foto: Jens Schierenbeck)
Musik im Netz? Viele Downloads sind illegalBild: picture-alliance / dpa / Themendienst

Immerhin verrät sie, was sie nicht will. Etwa – wie in Frankreich – ertappte User zu warnen und beim dritten Mal zu sperren. Die Bundesregierung werde "keine Initiativen zur Netzsperre und Bandbreitenbegrenzung ergreifen", ließ Leutheusser-Schnarrenberger verlauten. Denn das würde eine Menge Überwachung erfordern; da ist die Ministerin liberal und argwöhnisch. Eine "gesetzlich angeordnete Kontrolle des individuellen Surfverhaltens" könne es nicht geben. Und schließlich möchte sie auch keine allgemeine Internet-Kulturabgabe. Da würde jeder User eine Art Flatrate aufs Urheberrecht bezahlen – ähnlich den Rundfunkgebühren. Doch das, so die Ministerin, wäre eine "Zwangskollektivierung der Rechte, die einen gewaltigen Verteilungskampf der Urheber um die Einnahmen zur Folge hätte".

Kultur-Flatrate als Lösungsweg?

Der Urheber ist dem Urheber ein Wolf, denkt die Ministerin vielleicht ganz fürsorglich. Ganz anders sieht das der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann. Er argumentiert, die Erträge aus einer Internet-Kulturabgabe würden über eine Verwertungsgesellschaft an die Künstler verteilt. "Das ist selbstverständlich nicht ganz so gerecht, wie es wäre, wenn man es ganz individuell erwirtschaften könnte, aber es ist natürlich viel gerechter, als wenn man überhaupt nichts bekommt".

Dennoch begrüßt Zimmermann, dass die Ministerin offen für die Urheber eintritt und vermerkt positiv, dass Leutheusser-Schnarrenberger offenbar auch die Provider mehr in die Pflicht nehmen will. Nun ist er gespannt, wie es weitergeht: "Was mir wirklich gefehlt hat - und das ist das große Problem - sie hat nicht gesagt, was sie denn eigentlich machen will."

Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Aya Bach