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Flexibilität statt Stabilität

4. September 2004

Nach dem andauernden Streit um den Stabilitätspakt lässt die EU bei der Haushaltspolitik jetzt Fünfe gerade sein. Weniger Sparen in Krisenzeiten und dafür im Aufschwung Finanzpolster anlegen, heißt die neue Devise.

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Eichel und sein FreundBild: dpa

Im Jahr 2003 verbuchten elf Länder der Europäischen Union (EU) ein Defizit oberhalb des Stabilitätskriteriums von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Bundesregierung rechnet auch in diesem Jahr mit einem Staatsdefizit von 3,7 Prozent. Im Durchschnitt waren die Staaten in der Euro-Zone 2003 mit 70 Prozent des BIP verschuldet, während die Maastricht-Grenze bei 60 Prozent liegt. Eine Reform des Stabilitätspakts der EU gilt angesichts dieser Entwicklung als dringend überfällig. Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia will am Freitag (03.09.04) in Brüssel ein Diskussionspapier zur Neuauslegung des Pakts präsentieren. Er strebt mit seinem Vorschlag eine Beendigung des Dauerstreits um den EU-Stabilitätspakt an.

Wirtschaftswachstum wichtiger als Stabilität

Wachstum statt Stabilität lautet mittlerweile das zentrale Ziel der EU. Um das zu erreichen soll der bisher starre Pakt künftig stärker nach der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Mitgliedsstaaten ausgelegt werden. Änderungen der Rechtsvorschriften werden bei einer stärkeren Kopplung von wirtschafts- und haushaltspolitischer Konsolidierung nicht nötig sein.

Der neue EU-Währungskommissar Joaquin Almunia
Joaquin Almunia, der neue EU-Währungskommissar, bringt frischen Wind mitBild: AP

Almunia plant weiterhin, langfristig gesunden Staatshaushalten, zum Beispiel durch strukturelle Reformen, Vorrang vor einer kurzfristigen Einhaltung des Defizitkriteriums zu geben. Deutschland würden nach diesem Konzept die angestrebten Strukturreformen zu Gute gehalten werden, da sie die Staatskasse langfristig entlasten. Diese Idee Almunias würde zwar nicht den Stabilitätspakt in seiner ursprünglichen Form retten, aber immerhin den Reformprozess innerhalb der EU.

Wie es in Kommissionskreisen heißt, richten sich Almunias Pläne jedoch vor allem an die Adresse Italiens. Die Verschuldung des Landes macht 106 Prozent des BIP aus, 46 Prozentpunkte mehr als Maastricht erlaubt. Die gesamtstaatliche Verschuldung soll künftig bei der Haushaltsüberwachung viel stärker beachtet werden.

Höhere Defizite bei Wirtschaftsflaute erlaubt

Eine Entschärfung des Paktes soll es allerdings im Fall einer Konjunkturkrise geben. Wird bisher neben außergewöhnlichen Ereignissen, wie etwa Naturkatastrophen, nur ein "schwerwiegender Wirtschaftsabschwung" von mindestens zwei Prozent innerhalb eines Jahres berücksichtigt, könnten künftig auch unerwartete Phasen mit einem positiven, aber über eine längere Zeitspanne sehr schwachen Wachstum - wie in Deutschland - zu einer lockereren Auslegung des Stabilitätspaktes führen.

Umgekehrt heißt das aber auch, dass die EU-Staaten in Zeiten des Aufschwungs sparen und Schulden abbauen müssen. Von einer generellen Lockerung des Stabilitätspaktes kann deshalb nach Brüsseler Aussage nicht die Rede sein. Ferner will die Kommission mehr Druck auf die Mitglieder ausüben, die Arbeitsmärkte und Sozialsysteme zu reformieren, um so ihre wirtschaftliche Position langfristig zu verbessern.

Schwächung des Pakts durch Reformvorschläge?

Kritiker sprechen trotzdem von einer "Flexibilisierung der Maastrichter Kriterien", die zu mehr Schulden und somit einer zusätzlichen Belastung künftiger Generationen führen wird. Ersten Kommentaren, wonach eine Schwächung des Pakts drohe, widersprach der zuständige Generaldirektor der Kommission, Klaus Regling, am Dienstag im EU-Parlament. Wo nötig, werde der Pakt flexibler, wo unvermeidlich, etwa bei der Verschuldung, werde er strenger gemacht.

Almunias Vorschläge könnten bereits kommende Woche bei einem informellen Treffen der EU-Finanzminister beraten werden. Im Rat aller EU-Minister wird die Neuauslegung des Stabilitätspaktes jedoch erst im November diskutiert. Beschlüsse werden im ersten Halbjahr 2005 erwartet. (kat)