1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

EU-Unis im Vergleich

29. April 2009

Internationale Vergleichbarkeit der Studiengänge hatten sich die Macher des Bologna-Prozesses auf die Fahnen geschrieben. Zehn Jahre nach dem Beschluss herrscht an den Unis Unzufriedenheit - vor allem in Spanien.

https://p.dw.com/p/Hffg
Studentin steht vor einer Reihe Polizisten in Kampfuniform, die ihr den Weg versperren(DPA/18.03.2009)
In Barcelona wurden die Proteste der Studierenden gegen "Bologna" von der Polizei aufgelöstBild: picture alliance / dpa

Laut einer Studie der europäischen Kommission gehört Spanien in Sachen Bologna-Prozess zu den Klassenletzten der Europäischen Union. Das Land zählt zu der Gruppe, in der weniger als Dreiviertel der Studiengänge nach dem Punkte-System "ECTS" (European Credit Transfer System) verrechnet werden. Für das "Diploma Supplement", das Zertifikat, das die internationale Vergleichbarkeit der Studiengänge gewährleisten soll, muss in Spanien im Gegensatz zu anderen EU-Ländern immer noch gezahlt werden. Zudem hat der Bologna-Prozess in Spanien einen denkbar schlechten Ruf. Seit Monaten wird an den Universitäten gegen den "Plan Bologna" protestiert.

Furcht vor Privatisierung der Universitäten

"Unternehmen raus aus unseren Unis", singen ein paar Hundert Studenten in Sevilla und blockieren die Straßen. In Barcelona verbarrikadieren sich mehrere Dutzende wochenlang im Hauptgebäude, bis es der Rektor räumen lässt. Die Studenten protestieren gegen die Privatisierung des Hochschulwesens, die ihrer Meinung nach durch den Bologna-Prozess vollzogen würde.

Archäologie-Dozent und Bologna-Kritiker Ermengol Gassiat meint, dass es die Proteste nicht gäbe, wenn die spanische Regierung versuchen würde, die Bologna-Empfehlungen umzusetzen. "Es geht um die Art der Umsetzung", ist er sich sicher.

(DPA/18.03.2009)
Bei der Räumung des Hauptgebäudes in Barcelona werden 18 Studierende in Arrest genommenBild: picture alliance / dpa

Der Protest der Studierenden richtet sich vor allem gegen das Hochschul-Rahmengesetz "LOU" (Ley Organica de Universidades), das den Wettbewerb unter den Universitäten fördern will. Es sieht unter anderem vor, dass eine Art externer Aufsichtsrat, in dem auch Wirtschaftsvertreter sitzen, Leistungen und Budgets der Unis überwacht. Konzipiert als Bindeglied zwischen Gesellschaft und Hochschule, gilt das Gremium vielen Studenten als Beweis für die schleichende Privatisierung der Universitäten. Dass im Rahmen der Europäisierung festgeschrieben wurde, Studiengänge künftig nach konkreten Berufsfeldern zu gestalten, ist Wasser auf die Mühlen dieser Kritiker.

Außerdem hat man durch das jahrelange Tauziehen um das Hochschulgesetz die Umsetzung der Bologna-Kriterien verschleppt: Erst 2007 begann die Umstellung auf das dreigliedrige System. Während in anderen Ländern Bachelor-, Master- und Doktorstudiengänge schon längst die Regel sind, wird in Spanien noch erregt über den Sinn des Ganzen diskutiert.

Unflexibles Hochschulsystem

Benjamin Suarez, Professor für Bauingenieurwissenschaften an der Polytechnischen Universität Katalonien, hat sich jahrelang für den Bologna-Prozess eingesetzt und weiß, warum sich Spanien so schwer tut. "Es gab Länder, denen die Umstellung leicht fiel - weil sie sehr flexible Systeme hatten. Das spanische Universitätssystem ist allerdings extrem unflexibel", meint er. Die Studiengänge würden zum Teil vom Ministerrat geregelt. Zudem hätten Korporationen und Berufskammern ein großes Gewicht. Der Regierung mangele es außerdem an Führungskraft. Nichtsdestotrotz habe man sich im Vergleich zu den anderen Ländern sehr angestrengt und habe viel investiert.

Drei Mal wechselten die Bildungsminister in den vergangenen fünf Jahren; immer wieder wurde das Vorhaben vertagt. Derzeit entspricht laut Suarez gerade mal ein Drittel der Studiengänge an den 77 spanischen Universitäten den europäischen Kriterien. Dabei soll der europäische Bildungsraum bereits 2010 Realität sein.

Für den frisch gebackenen Bildungsminister Ángel Gabilondo, den ehemaligen Vorsitzenden der spanischen Rektorenkonferenz, gibt es also noch einiges zu tun. Suarez gibt sich vorsichtig optimistisch: "Zu hundert Prozent werden die Studiengänge bis zum Stichdatum wohl nicht anerkannt sein, aber zumindest ein Großteil davon". Die Universitäten wollten das System nach dieser langen Zeit der Ungewissheit umstellen - egal wie.

Frustration im Hörsaal

Studentin sitzt an einem Tisch mit zwei dicken Büchern darauf und schreibt eine Prüfung
Europäische Studierende stehen auch international in KonkurrenzBild: AP

Doch gerade darin liegt das Problem, so Ermengol Gassiot. In so einem kurzen Zeitraum sei etwas anderes als Flickschusterei gar nicht möglich. Er hätte als Universitätsangestellter den Eindruck, dass improvisiert würde. Wie sollten Spaniens Universitäten mit anderen europäischen konkurrieren können, wenn sie bei den öffentlichen Investitionen im Europa der 15 auf dem letzten Platz stünden, fragt er. Wie sollten mehr Seminare gewährleistet werden, wenn Personalkosten eingefroren würden? Und wie solle Gruppenarbeit gefördert werden, wenn es dafür nicht genügend Räume gäbe?

Gassiot fürchtet eine chronisch unterfinanzierte Oberflächenreformen. Die Chance auf eine tiefgreifende Modernisierung des Hochschulsystems - da sind sich Unterstützer und Gegner des Bologna-Prozesses einig - hat Spanien verpasst.

Autorin: Julia Macher
Redaktion: Mareike Röwekamp