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Folter muss geächtet bleiben

Heinrich Bergstresser26. Juni 2003

Vor 16 Jahren trat die Anti-Folter-Konvention in Kraft, dennoch wird in mehr als 100 Ländern noch immer gefoltert. Den Tag zur Unterstützung von Folteropfern kommentiert Heinrich Bergstresser.

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Noch vor wenigen Jahren hätte in demokratischen Staaten niemand - nicht einmal im Traum - gewagt, das Thema Folter als mögliches Instrument zur Wahrheitsfindung überhaupt in den Mund zu nehmen. Doch spätestens seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 hat sich der Zungenschlag hörbar verändert, und zwar dort, wo man es am wenigsten erwartet hätte: in Europa und in den USA.

Das Thema Folter nähert sich offensichtlich dem Thema Menschenrechte an, das in der derzeitigen Diskussion in den wichtigsten Machtzentren dieser Welt zum Abschuss freigegeben zu sein scheint. Menschenrechte seien Luxus, und Luxus können wir uns nicht mehr leisten - zumindest bis auf weiteres nicht - so argumentieren immer häufiger führende Politiker dieser Welt in Washington, Moskau, Peking. Insgeheim pflichten ihnen auch einflussreiche Kreise in Europa bei. Und die Diktatoren und Scheindemokraten in den übrigen Weltregionen klatschen zumindest unter den Tischen begeistert Beifall für derartig unerwartete politische Steilvorlagen. Schlimmer noch, sie sehen sich sogar noch in ihrer menschenrechtsfeindlichen Politik bestätigt.

Wunsch nach Enttabuisierung der Folter

Noch halten sich dieselben Personen und Organisationen mit vergleichbaren Bemerkungen zur Folter zurück. Doch man spürt, fast schon greifbar, immer stärker den Wunsch, das Thema Folter zu enttabuisieren. Denn, so die gängige Argumentation, besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen. Terroristen oder des Terrors Verdächtige müssen anders angefasst, anders behandelt werden, als "normale" Kriminelle. Diese Argumentation fällt besonders an den Stammtischen zunehmend auf fruchtbaren Boden. Und redegewandte Befürworter "besonderer Maßnahmen" in den Führungsetagen von Politik und Gesellschaft nutzen mitunter geschickt diese Stimmungslage für ihre ganz persönlichen Machtinteressen aus.

So einfach kann man es sich machen, wenn Schwarz-Weiß-Malerei sich der Politik und Justiz bemächtigt und epochale Errungenschaften der zivilisierten Welt quasi über Nacht geopfert werden sollen - natürlich immer im Namen von mehr Sicherheit für den Bürger. Dabei ist bereits die qualitative Unterscheidung - wenn auch noch verklausuliert und hinter vorgehaltener Hand - zwischen Verbrechern, die man im Extremfall zu Aufklärungszwecken vielleicht foltern könnte, und anderen, bei denen dies nicht gehe, ein Sündenfall. Denn dann ist es nur noch ein kleiner Schritt, zur Wahrung eines angeblich höherwertigen Rechtsgutes gesellschaftlich akzeptierte Folter auch zur allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung einzusetzen.

Gegen die Barbarei

Der Fall des Frankfurter Polizeivizepräsidenten, der im Mordfall des Bankierssohns Jakob von Metzler Folter als mögliches Mittel bezeichnete, gibt einen Vorgeschmack dessen, was bereits in Deutschland wieder möglich ist. Auch wenn dem Mordverdächtigen die Folter "nur angedroht" wurde. Doch das wäre erst der Anfang, ein an der Menschenwürde orientiertes Rechts- und Wertesystem von den Füßen auf den Kopf zu stellen und wieder auf das längst überwunden geglaubte Niveau der Barbarei herabzusteigen.

Wehret den Anfängen, und sei es noch so schwer! Die Anwendung der Folter in all ihren Facetten ist als menschenverachtend geächtet und muss es auch bleiben. Diese Forderung findet zurzeit leider immer weniger Gehör, abzulesen am weltweiten Desinteresse, das im Vorjahr verabschiedete Zusatzprotokoll zur Anti-Folter-Konvention zu unterschreiben und zu ratifizieren. Dieses Protokoll sieht vor, dass UN-Inspektoren unangemeldet Polizeistationen, Gefängnisse und mögliche Folterstätten aufsuchen dürfen.

Düstere Perspektive

Die USA wollten mit allen Mitteln die Verabschiedung verhindern - vergeblich. Aber auch die deutsche Seite hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Denn die Bundesregierung hat das Protokoll nicht einmal unterschrieben, obwohl sich Deutschland vehement für das Zusatzprotokoll eingesetzt hatte. Das lässt für die Zukunft nicht viel Gutes ahnen im Umgang mit der Folterfrage.