1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Forscher fordern Stopp von Glyphosat

Gero Rueter / AFP30. November 2015

Das Pflanzengift Glyphosat ist nach Einschätzung von Forschern wahrscheinlich krebserregend. Wissenschaftler aus aller Welt werfen EU-Behörden gravierende Mängel bei der Bewertung vor und erheben schwere Vorwürfe.

https://p.dw.com/p/1HF3t
Landwirt versprüht Pflanzenschutzmittel Pestizide
Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Glyphosat ist das weltweit am häufigsten eingesetzte und wohl auch umstrittenste Pestizid. In einem offenen Brief an EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis kritisieren 96 Wissenschaftler aus 25 Ländern, dass die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Glyphosat kürzlich als "wahrscheinlich nicht krebserregend" eingestuft hat. Auch gegen das zuständige deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erhoben die Wissenschaftler schwere Vorwürfe.

"Wissenschaftlich inakzeptabel"

In dem Schreiben vom 27. November fordern die Wissenschaftler die EU-Kommission auf, bei ihren Entscheidungen "die fehlerhafte Bewertung der Efsa nicht zu beachten". Die Analyse des BfR sowie die darauf aufbauende Bewertung der Efsa enthalte schwerwiegende Mängel, schreiben die Forscher in dem Brief.

Die Bewertung von EFSA sei in Teilen "wissenschaftlich inakzeptabel", ihre Sprache "irreführend". Außerdem seien die Ergebnisse "durch die vorliegenden Daten nicht gedeckt" und "nicht auf offene und transparente Weise erzielt worden". Hingegen hatte die zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehörende Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) den Wirkstoff im Frühjahr als "wahrscheinlich krebserregend für Menschen" bewertet. Diese Analyse sei "mit Abstand die glaubwürdigere", unabhängig und transparent, heißt es in dem Brief.

Koordinator des offenen Briefes ist der Krebsforscher Christopher Portier, ehemaliger Direktor des US National Toxicology Program, einer wichtigen Einrichtung der US-Regierung zur Chemikalien-Prüfung. Er begründet sein Engagement damit, dass der wissenschaftlichen Risikobewertung ein "schlechter Dienst" erwiesen werde, "wenn sorgfältig entwickelte Methoden zur Analyse und Interpretation von Informationen zugunsten spontaner Herangehensweisen beiseite gelegt werden, die entweder falsch sind, oder für eine genaue Untersuchung durch eine breitere wissenschaftliche Gemeinschaft nicht zugänglich sind".

Unter den 96 Unterzeichnern sind anerkannte Wissenschaftler, die für international renommierte Institute arbeiten, etwa die Deutsche Forschungsgesellschaft oder das Krebsforschungszentrum Heidelberg sowie Universitäten in den USA, Australien oder Japan. Die Forscher weisen allerdings ausdrücklich darauf hin, dass sie für sich selbst sprechen, nicht für ihre Institutionen.

Kritiker bekommen Rückenwind

Der Kinderarzt Medardo Avila Vazquez spricht mit der Deutschen Welle über die Erfahrungen mit Glyphosat
Kinderarzt Medardo Avila Vazquez warnt vor GlyphosatBild: Gero Rueter

Ärzte, Umweltschützer und auch einige Landwirte halten Glyphosat schon seit langem für hochgiftig und fordern seit Jahren ein Verbot des Pestizids. "Wir können ganz klar sehen, dass die Menschen durch Glyphosat kranker werden. Sie bekommen häufiger Krebs, vor allem Lungen-, Brust- und Darmkrebs", berichtet der argentinische Kinderarzt Avila Vazquez im DW-Interview.

Der Pharmakologe führt epidemiologische Studien in Argentinien durch und konnte Zusammenhänge belegen. Auffälligkeiten gäbe es auch bei Schwangerschaft und Geburten. "In den Dörfern, die umgeben sind von Sojafeldern, dort wo viel Glyphosat gespritzt wird, stellen wir fest, dass die Zahl der Fehlgeburten stark zugenommen hat. Zudem nimmt in diesen Orten die Anzahl der Missbildungen stark zu."

Kritik an der Zulassungsbehörden Bfr und EFSA gab es in den letzten Monaten mehrfach. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung hat das Bundesinstitut Bfr "Hinweise auf Krebs bei Tierversuchen nicht erkannt" und verließ sich bei der Analyse von Studien "offenbar zu sehr auf Angaben der Industrie". Ähnlich sieht es auch Christiane Huxdorff, Landwirtschaftsexpertin von Greenpeace: "Das Bundesamt für Risikobewertung Bfr und die EFSA verlassen sich viel zu sehr auf Studien der Unternehmen, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Sie schließt Forschungsergebnisse, die die Gefährlichkeit von Glyphosat belegen, aus ihrer Bewertung aus."

Umweltschützer demonstrieren gegen Glyphosat in Berlin.
Protest gegen Glyphosat in Berlin. Laut Emnid-Umfrage sind drei Viertel der Deutschen für ein VerbotBild: Imago / Steinach

Der Grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner bewertete die Kritik der Forscher als ein "ungewöhnliches und starkes Signal aus der Wissenschaft". Nur allzu oft werde den Kritikern des Pflanzengifts mangelnde "Wissenschaftlichkeit" unterstellt. Der offene Brief zeige nun, dass genau das Gegenteil der Fall sei. "Die Prüfbehörden ignorieren munter wissenschaftliche Standards und verweigern jede Transparenz, um zum gewünschten Glyphosat-Freispruch zu kommen", erklärte Ebner in Berlin. Die Bundesregierung müsse sich dafür einsetzen, dass die Empfehlung der EFSA zurückgewiesen und neu aufgerollt werde, forderte er.

EU Entscheidet über Zulassung für die nächsten zehn Jahre

Die EU-Kommission muss in Kürze mit den EU-Mitgliedstaaten über die Neuzulassung von Glyphosat in der EU für die kommenden zehn Jahre entscheiden. Für die Industrie geht es um einen Milliardenmarkt. Das Pestizid wird von mehreren Großkonzernen, beziehungsweise deren Tochterunternehmen vertrieben. Zu ihnen gehören Monsanto, Syngenta, BASF, Bayer und mehrere chinesische Unternehmen.

Trotz der unbestrittenen Studien zu den Gesundheitsschäden in Argentinien halten die Unternehmen weiter am Verkauf von Glyphosat fest. "Aber wir sehen die Dinge sehr ernsthaft und nehmen das Thema ernst", sagt Thoralf Küchler von Monsanto in Deutschland, zugleich Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Glyphosat.

Eine eventuelle Haftung der Pestizidhersteller für Gesundheitsschäden schloss Küchler jedoch aus. "Der Landwirt muss wissen wie die Mittel einzusetzen sind, dass es nicht immer korrekt läuft, dass kann ich mir vorstellen. Die Verantwortung liegt beim Anwender."