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Forscherkarriere auf dem Prüfstand

Britta Mersch12. September 2012

Zeitverträge, viele Umzüge, wenig Gehalt - die Wissenschaftskarriere in Deutschland ist steinig. Das schreckt ausländische Forscher ab. Bildungsexperten fordern deshalb bessere Arbeitsbedingungen.

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Porträt einer blonden, weinden Studentin (Foto: dpa/lni)
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Dass es ein unsicherer Weg werden würde, war Wiebke Esdar klar, als sie sich für eine Promotion entschied. "Im ersten Jahr habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, wie meine Promotionszeit ablaufen würde", sagt die 28-Jährige, die ihre Doktorarbeit an der Universität Bielefeld schreibt. Zunächst arbeitete sie in einem Forschungsprojekt mit. Dann bekam sie eine 25-Prozent-Stelle, hatte außerdem ein Stipendium. Das aber läuft bald aus - und dann muss sich Wiebke Esdar Gedanken darüber machen, wie es weitergeht. "Meine Chefin würde mir gerne noch eine Stelle anbieten“, sagt sie. "Doch das hängt davon ab, ob sie Mittel für weitere Forschungsprojekte bewilligt bekommt.“

So wie Wiebke Esdar geht es vielen der 200.000 Doktoranden in Deutschland. Sie müssen unter prekären Bedingungen promovieren. Halbe Stellen trotz einer 40-Stunden-Woche sind die Regel, dazu kommen befristete Verträge. Ist der Doktor geschafft, hört die berufliche Unsicherheit noch lange nicht auf. Auch für Postdocs gehen die befristeten Beschäftigungsverhältnisse weiter - noch viele Jahre, bis die Wissenschaftler eine der begehrten Professuren ergattern. Den Forschungsstandort Deutschland schwächt das nachhaltig, sind Experten sicher. Wissenschaftler aus dem Ausland machen um deutsche Hochschulen lieber einen großen Bogen. Und wer als deutscher Forscher die Chance hat, geht an renommierte Hochschulen im Ausland.

Porträt der Doktorandin Wiebke Esdar (Foto: Wiebke Esdar)
Nimmt für die Forscherkarriere viel in Kauf: Wiebke EsdarBild: privat

Feste Jobs statt Zeitverträge

Die Bedingungen an den Hochschulen müssen sich deshalb grundlegend ändern, fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die sich für eine Reform der Personalpolitik an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen einsetzt. Schon anlässlich der GEW-Wissenschaftskonferenz 2010 wurde das sogenannte "Templiner Manifest" erarbeitet, das zehn Forderungen enthält. Es geht zum Beispiel um gesicherte Arbeitsverhältnisse für Doktoranden, verlässliche Perspektiven für Postdocs und reguläre Beschäftigungsverhältnisse für Lehrbeauftragte.

Bei der Wissenschaftskonferenz in Herrsching bei München stand jetzt die "Baustelle Hochschule" erneut im Fokus. Dieses Mal wurde der sogenannte "Herrschinger Kodex" erarbeitet, mit dem sich die Hochschulen selbst verpflichten sollen, die Beschäftigungsverhältnisse von Wissenschaftlern zu verbessern. Das endgültige Papier wird im November vorgestellt - die Botschaft ist schon jetzt klar. Wenn der Forschungsstandort Deutschland auf dem internationalen Parkett mitspielen soll, muss sich einiges ändern. "Die Karrierewege sind zu unsicher, weil Zeitvertrag auf Zeitvertrag folgt, mit immer kürzeren Laufzeiten", sagt Andreas Keller von der GEW.

Porträt von Andreas Keller (Foto: Adreas Keller)
Fordert bessere Arbeitsbedingungen an den Universitäten: Andreas KellerBild: GEW

Fremdwort "Tenure Track"

Denn in Deutschland fehlen planbare Karrierewege für angehende Professoren, die in anderen Ländern längst etabliert sind. Die Technische Universität München zum Beispiel führt erst jetzt das sogenannte "Tenure Track"-Verfahren ein, das in England oder den USA zum Alltag gehört. Kurz nach ihrer Promotion bekommen Nachwuchswissenschaftler für sechs Jahre eine Stelle als Assistant Professor mit festem Gehalt und viel Eigenverantwortung.

Machen die Forscher ihre Arbeit gut, steigen sie auf zum Associate Professor. Diese Stelle ist unbefristet, ein Aufstieg zum Professor möglich. Bei dem Modell gibt es also mehr finanzielle Sicherheit als bisher. Doch der Druck bleibt auch bei diesem Modell. "In den ersten sechs Jahren kann ich noch aus dem System fallen", sagt die Doktorandin Wiebke Esdar, "eine Perspektive, die sehr abschreckend ist. Vor allem, wenn man sich eine Familie wünscht".

Studentin sitzt mit ihrem neun Monate alten Sohn in einem Seminar. (Foto: dpa)
In Deutschland schwer vereinbar: Universitätslaufbahn und FamilieBild: picture-alliance/ ZB

Neue Karrierestufe einrichten

Die Gewerkschaft macht sich deshalb auch für eine Karrierestufe zwischen Professoren und Nachwuchswissenschaftlern stark, die es in Ländern wie Frankreich oder England gibt. Und zwar eine Ebene von Wissenschaftlern, die unbefristete Verträge haben und Lehr- und Forschungsaufgaben übernehmen, ohne unbedingt als Professor an die Spitze aufzusteigen.

"Wenn Postdocs eingestellt werden, müssen sie auch eine Perspektive bekommen, dass sie an der Uni bleiben können", fordert Keller. Ob die Hochschulen den Kodex allerdings akzeptieren und umsetzen werden, ist fraglich. Denn aus ihrer Sicht funktioniert das System ja gut. Sie haben viele günstige Arbeitskräfte, die sehr aktiv sind in Lehre und Forschung.