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Kunst

Fotoserie: Erinnerungen aus Ruanda

Jan Tomes nw
12. April 2017

In der aktuellen Arbeit der finnischen Fotografin Miia Autio werden Ruander vorgestellt, die nach dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat in ein neues Leben flohen. Ein Gespräch über den Wert des freien Wortes.

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Fotoausstellung
Bild: Miia Autio

Am 6. April 1994 begann der grausame Völkermord in Ruanda. In 100 Tagen töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit rund 75 Prozent der Tutsi-Minderheit. Selbst angesichts der blutigen Vergangenheit des Landes ist die Zahl der Opfer dieses Genozids erschreckend. So liegen die Schätzungen je nach Quellenlage bei 500.000 bis zwei Millionen Todesopfern. Weitere zwei Millionen Menschen wurden während und nach dem Völkermord vertrieben. Aber auch heute noch zwingt die aktuelle politisch schwierige Lage viele Ruander, sich eine neue Heimat in einem Nachbarland oder in Europa zu suchen.

Die Wurzeln des Konfliktes zwischen Hutu und Tutsi reichen mehrere Jahrhunderte zurück. Die sozialen Ungleichheiten zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen liegen in der Gründung der Tutsi-Monarchie begründet, die ungeachtet der Tatsache, dass die Hutu die Mehrzahl der Bevölkerung stellten, pro-Tutsi und anti-Hutu Richtlinien durchsetzte.

Eine schwerwiegende Entscheidung Belgiens 

Belgien, das die Herrschaft über das Territorium von der vorherigen Kolonialmacht Deutschland übernommen hatte, goß zusätzlich Öl ins Feuer, indem es die Tutsi für die überlegene Rasse erklärte. Der privilegierte Status der Tutsi blieb daher unter der belgischen Herrschaft bestehen, welche die Region von 1919 bis zur Unabhängigkeit Ruandas im Jahr 1961 verwaltete. Die darauffolgenden, stetig anhaltenden Guerilla-Kämpfe, Aufstände und Revolutionen führten schließlich Anfang der Neunzigerjahre zu einem Bürgerkrieg, der in dem Genozid einen schrecklichen Höhepunkt fand.

Fotografin Miia Autio
Fotografin Miia Autio aus FinnlandBild: Alexandra Polina

Miia Autio ist eine finnische Fotografin, deren aktuelle Serie "I Called Out for the Mountains, I Heard Them Drumming", derzeit in Finnland ausgestellt wird. In ihrer Fotoarbeit porträtiert sie ruandische Flüchtlinge in Europa und stellt sie Aufnahmen aus ihrem Heimatland gegenüber. Anlässlich der Ausstellungseröffnung hat DW mit der Fotografin über die bemerkenswerte Serie gesprochen.

DW: Wie kam es zu dem poetischen Namen ihres Projektes, der im Gegensatz zu den Lebensgeschichten zu stehen scheint, die Ihre Porträtierten zu erzählen haben.

Miia Autio: Der Titel geht auf eine ruandische Redensart zurück: "Die Trommel ist größer als Schreie." Die Trommel steht für die früheren Könige Ruandas, die Schreie symbolisieren die Stimme des Volkes. Damit ist gemeint, dass der Staat in Ruanda immer mehr Macht als die Bevölkerung hat. In meiner Serie kann die Stimme der Ruander gehört werden. Dagegen ist es auch in der aktuellen politischen Situation unmöglich, dass die Ruander ihre Meinung sagen können. Also müssen sie fliehen, um das tun zu können.

Für die Serie, die vor allem mit dem ruandischen Völkermord verbunden ist, haben sie vorwiegend Hutu porträtiert. Warum?

Ich glaube, dass dieser Teil der Geschichte oft nicht diskutiert wird. Hutu-Politiker wurden während des Genozids ebenso verfolgt und getötet. Dies lässt sich mit Zahlen belegen. Aber die aktuelle Regierung erkennt die Faktenlage nicht an. Die Menschen haben ihre Freunde und Familie verloren, aber es ist ihnen nicht erlaubt zu trauern und ihrer zu erinnern, weil sie offiziell nicht durch die Hutu getötet wurden.

Wie haben Sie die Protagonisten Ihrer Serie kontaktiert und anschließend getroffen?

2006 lebte ich in Deutschland und arbeitete dort mit Immigranten. Damals hatte ich den Wunsch, Soziologie zu studieren und ich freundete mich mit einem Soziologen aus Ruanda an, mit dem ich viel über die politische Situation seines Heimatlandes diskutierte. Im Laufe der Zeit interessierte mich das Thema immer stärker und als ich Jahre später nach Deutschland zurückkehrte, entschied ich mich, dieser Idee nachzugehen. Er half mir, viele Kontakte zu knüpfen und Zugang zu den Menschen zu finden.

Wie fühlen sich diese Menschen in ihrem neuen Zuhause in Europa?

Sie sind sehr glücklich, dass sie die Möglichkeit haben, ein neues Leben in einem friedlichen Land beginnen zu können, in dem sie zudem noch akzeptiert werden. Sie können arbeiten, studieren, reisen. Die meisten, mit denen ich gearbeitet habe, sind keine Ruander mehr, sie sind Bürger der Europäischen Union. Natürlich haben sie hin und wieder auch Diskriminierung erlebt, das widerfährt aber zu einem gewissen Grad jedem. Auch ich musste einige Hindernisse überwinden, als ich nach Deutschland gezogen bin.

Sie sind nach Ruanda gereist, um Landschaften zu fotografieren, als Referenz zu der Herkunft Ihrer Protagonisten. Haben Sie mit den Menschen vor Ort über die politische Situation gesprochen?

Ja, habe ich. Obwohl mir gesagt wurde, dass ich es vermeiden solle, politische Themen zu diskutieren. Das war merkwürdig, weil ich mich eingängig mit der Geschichte des Landes beschäftigt hatte und wusste, was in Ruanda vor sich geht. Mein Guide erzählte mir, dass er aufgrund seiner Hutu-Abstammung einige Kurse an der Universität nicht besuchen durfte und dass es für ihn unmöglich sei, einen vernünftigen Job zu finden. Und dass er noch nicht mal über seine Probleme sprechen könne.

In Ruanda kann man die Angst fühlen. Viele Menschen erzählten mir, wie sehr sie ihr demokratisches Land lieben, aber ich wusste nie, ob das jetzt ihre wirkliche Meinung war, oder ob sie nur Angst hatten.

Was bedeuten Ihnen persönlich die Erfahrungen, die sie durch die Serie sammeln konnten?

Sie haben mein Konzept von Zuhause verändert. Für mich ist es mehr eine Idee als ein tatsächlicher Ort.

Miia Autios "I Called Out for the Mountains, I Heard them Drumming" ist bis zum 30. April 2017 in der Galerie Uusi Kipinä in Lahti, Finnland zu sehen.