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Früherer SS-Mann steht in Aachen vor Gericht

28. Oktober 2009

In Aachen hat einer der letzten großen NS-Kriegsverbrecherprozesse begonnen. Der 88-jährige ehemalige SS-Mann Heinrich Boere wird beschuldigt, 1944 in den Niederlanden drei Zivilisten erschossen zu haben.

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Der angeklagte frühere SS-Mann Heinrich Boere (Foto: AP)
Unter Mordverdacht: Das ehemalige SS-Mitglied Heinrich BoereBild: AP

Nach einem jahrzehntelangen juristischen Tauziehen muss sich der mutmaßliche NS-Verbrecher Heinrich Boere seit Mittwoch (28. 10. 2009) vor dem Landgericht Aachen verantworten. Erst Anfang Oktober war der 88-Jährige mit einer Verfassungsbeschwerde gegen seinen Prozess gescheitert. Boere hielt sich wegen eines Herzleidens für verhandlungsunfähig.

Boeres Mutter war Deutsche, der Vater Niederländer. Er selbst wurde zwar in Eschweiler bei Aachen geboren, ist nach eigenen Angaben aber staatenlos. Boere war laut Anklage im Jahr 1940 der Waffen-SS beigetreten und später zur "Germanischen SS" in den Niederlanden abkommandiert worden. Er soll im Juli und im September 1944 drei Männer in Breda, Voorschoten und Wassenaar erschossen haben.

Laut Anklage war er für ein Killerkommando rekrutiert worden, das niederländische Widerstandskämpfer tötete. Insgesamt fielen solchen unter dem Tarnnamen "Silbertanne" ausgeführten Aktionen mindestens 54 Niederländer zum Opfer. Während der Nazi-Diktatur waren die Niederlande von 1940 bis 1945 von deutschen Truppen besetzt. Drei Söhne von zwei Opfern sind Nebenkläger.

Schon vor 60 Jahren verurteilt

Obwohl der ehemalige SS-Mann schon vor 60 Jahren von einem Sondergerichtshof in Amsterdam in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war, konnte er sich der Strafe, die später in eine lebenslange Haft umgewandelt wurde, entziehen. Denn Boere konnte 1947 aus der Kriegsgefangenschaft nach Eschweiler bei Aachen fliehen, wo er sich eine bürgerliche Existenz aufbaute und als Bergmann arbeitete. Die deutsche Justiz lieferte ihn nicht aus, da er mit Eintritt in die Waffen-SS möglicherweise die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte. 1984 wurden die Ermittlungen eingestellt.

Schleppender Prozessauftakt

Ulrich Maaß Maaß ist der nordrhein-westfälische Chefankläger in Sachen Nazi-Gewaltverbrechen (Foto: dpa)
Ulrich Maaß Maaß ist der nordrhein-westfälische Chefankläger in Sachen Nazi-GewaltverbrechenBild: picture-alliance /dpa

Das Verfahren in Aachen begann zunächst nur schleppend. Wegen eines Befangenheitsantrags gegen den Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß wurde am ersten Verhandlungstag keine Anklage verlesen. Maaß erwecke den Anschein, dass er den Grundsatz des fairen und offenen Verfahrens missachte, sagte Verteidiger Gordon Christiansen in seinen Antrag. In vielen Interviews habe Maas deutlich gemacht, dass er eine Verurteilung um jeden Preis wolle.

Boere verfolgte die Verhandlung in einem Rollstuhl sitzend und ohne sichtliche Gefühlsregungen. Er war durch Panzerglaswände vom Zuschauerraum abgeschirmt. In den Sitzungspausen wurde der 88-Jährige medizinisch betreut.

Wiesenthal-Zentrum lobt Staatsanwalt

Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, Aussenansicht
Lob vom Simon Wiesenthal Center in Los AngelesBild: Simon Wiesenthal Center

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum begrüßte den Prozess. "Die Anklageerhebung gegen Heinrich Boere ist ein sehr starkes Zeichen dafür, dass der Zeitabstand die Schuld der Täter nicht verringert und dass ein hohes Alter die Mörder von unschuldigen Zivilisten nicht schützen darf", erklärte Direktor Efraim Zuroff. Ausdrücklich lobte er die deutschen Strafverfolger in diesem Fall, vor allem Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß von der Dortmunder Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen.

Der Angeklagte John Demjanjuk (Archivfoto 2006: AP)
Er wartet auf den Prozess in München: Der mutmaßliche NS-Verbrecher John DemjanjukBild: AP/Plain Dealer

Boere steht auf Platz Sechs der vom Wiesenthal-Zentrum geführten Liste der meistgesuchten NS-Kriegsverbrecher. Platz Zwei auf dieser Liste nahm der mutmaßliche ehemalige KZ-Aufseher John Demjanjuk ein. Der 89-Jährige muss sich ab Ende November vor dem Münchener Landgericht verantworten, weil er im Zweiten Weltkrieg an der Ermordung Tausender Juden im besetzten Polen beteiligt gewesen sein soll.

Autor: Reinhard Kleber (mit dpa, ap)

Redaktion: Hajo Felten