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"Frühlingsorakel"

19. April 2003

Im Frühling, da erwacht das Leben - und nicht selten auch die Liebe - neu. Wenn Parkbänke und Straßencafés wieder zum Verweilen einladen, dann ... sind auch die Dichter mit heiter-ironischer Feder zur Stelle.

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Bild: BilderBox

Der Lenz ist da!

Das Lenzsymptom zeigt sich zuerst beim Hunde,
Dann im Kalender und dann in der Luft,
Und endlich hüllt auch Fräulein Adelgunde
Sich in die frischgewaschene Frühlingskluft.
Ach, ja, der Mensch! Was will er nur vom Lenze?
Ist er denn nicht das ganze Jahr in Brunst?
Doch seine Triebe kennen keine Grenze -
Dies Uhrwerk hat der liebe Gott verhunzt.
Der Vorgang ist in jedem Jahr derselbe:
Man schwelgt, wo man nur züchtig beten sollt,
Und man zerdrückt dem Heiligtum das gelbe
Geblümte Kleid - ja, hat das Gott gewollt?
Die ganze Fauna treibt es immer wieder:
Da ist ein Spitz und eine Pudelmaid -
Die feine Dame senkt die Augenlider,
Der Arbeitsmann hingegen scheint voll Neid.
Durch rauh Gebrüll lässt sich das Paar nicht stören,
Ein Fußtritt trifft den armen Romeo -
Mich deucht, hier sollten zwei sich nicht gehören ...
Und das geht alle, alle Jahre so.
Komm, Mutter, reich mir meine Mandoline,
Stell mir den Kaffee auf den Küchentritt -
Schon dröhnt mein Bass: Sabine, bine, bine ...
Was will man tun? Man macht es schließlich mit.

(Kurt Tucholsky)

Frühlingsorakel

Du prophet'scher Vogel du,
Blütensänger, o Coucou!
Bitten eines jungen Paares
In der schönsten Zeit des Jahres
Höre, liebster Vogel du;
Kann es hoffen, ruf ihm zu:
Dein Coucou, dein Coucou,
Immer mehr Coucou, Coucou.

Hörst du! ein verliebtes Paar
Sehnt sich herzlich zum Altar;
Und es ist bei seiner Jugend
Voller Treue, voller Tugend.
Ist die Stunde denn noch nicht voll?
Sag, wie lange es warten soll!
Horch! Coucou! Horch! Coucou!
Immer stille! Nichts hinzu!

Ist es doch nicht unsre Schuld!
Nur zwei Jahre noch Geduld!
Aber, wenn wir uns genommen,
Werden Pa-pa-papas kommen?
Wisse, daß du uns erfreust,
Wenn du viele prophezeist.
Eins! Coucou! Zwei! Coucou!
Immer weiter Coucou, Coucou, Cou.

Haben wir wohl recht gezählt,
Wenig am Halbdutzend fehlt.
Wenn wir gute Worte geben,
Sagst du wohl, wie lang wir leben?
Freilich, wir gestehen dirs,
Gern zum längsten trieben wirs.
Cou Coucou, Cou Coucou,
Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou.

Leben ist ein großes Fest,
Wenn sichs nicht berechnen läßt.
Sind wir nun zusammen blieben,
Bleibt denn auch das treue Lieben?
Könnte das zu Ende gehn,
Wär doch alles nicht mehr schön.
Cou Coucou, Cou Coucou
Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou, Cou

(Mit Grazie in infinitum)

(Johann Wolfgang Goethe)

Mit feiner Ironie und scharfem Blick für's Detail begabt, avancierte Kurt Tucholsky (1890 bis 1935) zu einem der bestbezahlten deutschen Journalisten seiner Zeit. Vom Kabarettsong bis zum Essay, von der Gerichtsreportage bis zum politischen Leitartikel hat er alles verfasst. Dem Satiriker, Lyriker, Essayisten, Kabarett-Texter, Humoristen, Literaten und politischen Kritiker saß permanent der Schalk im Nacken - Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel waren seine beliebtesten Pseudonyme.

Johann Wolfgang v. Goethe (1749 bis 1832) ist der berühmteste deutsche Dichter. Von 1775 an lebte er in Weimar. Der "Dichterfürst" gilt als einer der intelligentesten und vielseitigsten Autoren der Literaturgeschichte. Jedes Jahr besuchen Tausende Menschen aus dem In- und Ausland sein Wohnhaus am Frauenplan in Weimar und das Gartenhaus im Park an der Ilm.