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Frage nach der Nationalität bei der Volkszählung in Polen

14. Mai 2002

- Vertreter der Minderheiten starten großangelegte Aktion

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Warschau, 13.05.2002, ZYCIE WARSZAWY, Marcin Dzierzaniowski

Die Aktivisten der nationalen Minderheiten in Polen versuchen mit verschiedenen Methoden (wie z.B. durch Verteilung von Flugblättern, Aufrufe in den orthodoxen Kirchen und in Synagogen, durch Appelle im Radio und im Fernsehen ... ) ihre Landsleute dazu zu bewegen, ihre Abstammung bei der Volkszählung offen zu legen.

Während der jetzt beginnenden Volkszählung in Polen wird nämlich das erste Mal nach 80 Jahren die Frage nach der Nationalität gestellt.

Eugeniusz Czykwin, ein Weißrusse und gleichzeitig Chefredakteur der Zeitschrift "Przeglad Prawoslawny" ("Orthodoxe Rundschau"- MD) kam gerade von einer Sendung beim Fernsehen in Bialystok zurück. Im Studio versuchte er mehrere Stunden mit den Vertretern anderer Minderheiten die Zuschauer aus der Region Podlasie (Ostpolen - MD) davon zu überzeugen, ihre Nationalität bei der Volkszählung offen anzugeben. "Uns liegt sehr viel daran. Wir befürchten, dass die Volkszählung ergeben kann, dass die Zahl geringer ist als in Wirklichkeit", erklärt Eugeniusz Czykwin.

Ähnliche Probleme hat aber auch Miron Kertyczak, der Chef des Verbands der Ukrainer in Polen. Er sieht sich die neuste Ausgabe der Zeitschrift der Ukrainer in Polen - "Nasze Slowo" ("Unser Wort") - an. Auf der ersten Seite wurde dort eine große Aufschrift "Pamiataj, hto ty jesi!" (Vergiß nicht, wer du bist") platziert. "Unten haben wir den Fragebogen abgedruckt. Dort wurde die Nationalitätsspalte bereits mit der ukrainischen Nationalität ausgefüllt", zeigt Miron Kertyczak.

Wozu aber diese ganzen Bemühungen? Nach den Richtlinien des Hauptamtes für Statistik (GUS) hängt es nämlich allein von den Befragen ab, wie die Frage nach der Nationalität und der Muttersprache beantwortet wird. Die offiziellen Angaben sollen dann nur für statistische Zwecke benutzt werden.

Es ist jedoch bereits bekannt, dass diese Ergebnisse auch bei den Behörden berücksichtigt werden und zwar bei der Verteilung der Mittel für verschiedene Verbände der nationalen Minderheiten und bei der Unterstützung für ihre kulturellen Aktivitäten.

Als erste nahmen die Deutschen aus der Region Opole (Oppeln) die Arbeit auf. Der Vorstand des soziokulturellen Verbands der deutschen Minderheit für die Woiwodschaft Opole ließ 40 000 Flugblätter drucken, in denen aufgerufen wird, die deutsche Nationalität und die deutsche Sprache bei der Volkszählung anzugeben. "Die Flugblätter werden bereits verteilt", sagt Joachim Niemann, ein Vertreter der deutschen Minderheit aus Opole und fügt hinzu: "Es sollte keine Probleme bei der Angabe der Nationalität geben. Wir müssen nur auch die alten und schlechter gebildeten Leute erreichen, weil viele von ihnen Probleme damit haben könnten, um zu verstehen, worum es dabei geht".

Viel mehr Zweifel haben jedoch die polnischen Juden. "Viele von uns haben den Holocaust und den März 1968 erlebt", sagt Jerzy Kadiczik, der Vorsitzende der jüdischen Glaubensgemeinden und fügt hinzu: "Wir versuchen unsere Landsleute davon zu überzeugen, ihre jüdische Abstammung anzugeben. Wir haben jedoch auch Verständnis für diejenigen, die das nicht tun werden."

Aber auch die Weißrussen fürchten sich vor den Ergebnissen der Volkszählung. "Wir werden in der Region Bialystok diskriminiert", sagt Eugeniusz Czykwin offen und behauptet "In einigen Betrieben ist es dazu gekommen, dass bei einer Entlassungswelle nur den Weißrussen gekündigt wurde". Trotzdem gibt er nicht auf. "Wir lassen Flugblätter drucken, in denen orthodoxe Priester dazu aufrufen, die weißrussische Nationalität anzugeben".

Unter den Vertretern der nationalen Minderheiten wird die Meinung immer stärker vertreten, dass die Ergebnisse der Volkszählung eine Prüfung nicht nur für die Minderheiten, sondern auch für die ganze Bevölkerung darstellen. "Wenn sich erweisen sollte, dass sich Leute nach zwölf Jahren Demokratie davor fürchten, offen anzugeben, wer sie sind, so wird das auch ein Zeugnis für die Mehrheit der Bevölkerung sein". (Sta)