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Fragen an einen virtuellen Hitler

27. August 2003

Eine britische Web-Site für Schüler sorgt für eine Kontroverse: Virtuell kann man dort Adolf Hitler interviewen. In Großbritannien gab es dafür Preise - deutsche Historiker sind entsetzt.

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Screen-Shot der umstrittenen Seite

Für Historiker mag es eine faszinierende Vorstellung sein, Adolf Hitler befragen zu können. Antworten zu bekommen über den Nationalsozialismus, den Holocaust, den Zweiten Weltkrieg. Hitler entzog sich bekanntlich Befragungen zu seinen Verbrechen, in dem er sich 1945 umbrachte.

Auf der für Schüler gedachten britischen Lern-Website "Active History" kann Hitler nun zumindest virtuell interviewt werden. Per Klick beantwortet der virtuelle Führer Fragen: etwa zu seiner Weltanschauung, zu Stalin, zu den Juden, zu Frauen, zur Kunst und sogar zu seiner Hochzeit mit Eva Braun. Neben den Antworten ist ein Bild Hitlers zu sehen, dass beim Antworten die Lippen bewegt. Über Geschmack lässt sich nicht streiten - oder doch?

"Potenzial schnell klar"

Erfunden wurde die Seite nicht von einem Hitler-Verehrer, sondern von dem englischen Geschichtslehrer R.J. Karr. "Mir war das Potenzial des Internets schnell klar - nicht nur zum Forschen, sondern auch zum interaktiven Lernen", sagt Karr. Er baute eine Web-Site auf und entwickelte alle möglichen Online-Spiele, um Schülern mit Spaß Geschichte beizubringen. Man kann auf Karrs Seite unter anderem Heinrich VIII. interviewen, den Börsenkrach von 1929 simulieren und sich an einem Strategie-Spiel über die Schlacht von Hastings 1066 probieren. Titel: "Verliere nicht deinen Kopf".

Karr wurde für sein virtuelles Lern-Projekt mit dem zweiten Platz des "UK Education Website Awards 2002" bedacht. Für den "Guardian" hat er die "vielleicht beste Geschichtsseite überhaupt" geschaffen.

"Alamierender Weg"

Viele Kritiker halten diesen Zugang zu Hitler aber für unverantwortlich, wenn nicht schockierend. Einer der prominentesten Kritiker in Deutschland ist Dietmar Süß, Mitarbeiter des renommierten Instituts für Zeitgeschichte in München. Er hält Karrs Seite zumindest für eine "sehr beängstigende Form historischer Bildungsarbeit". Der Historiker hält es für hochgradig naiv, zu denken, dass Schüler durch das Lesen von aus dem Zusammenhang gerissenen Hitler Zitaten etwas Substanzielles über den Nationalsozialismus lernen könnten.

Der Leiter des Deutschen Historischen Instituts in London, Lothar Kettenecker, sieht darin einen weiteres Symptom einer "geradezu obsessiven" Beschäftigung der Briten mit Hitler und dem Dritten Reich. Inzwischen sei der Kult um Hitler zu einem Genre ähnlich dem des Western-Films geworden, ergänzt Kettenecker.

Dem hält Karr entgegen: "Sich in die Deutschen hinein zu versetzen, bedeutet nicht mit ihnen zu sympathisieren, sondern es hindert uns daran, die Schrecken des Nationalsozialismus selbstgefällig als ein 'deutsches Problem' abzutun", betont er. Vielmehr entstehe dadurch eine Sensibilisierung, die bei der Bewältigung möglicher ähnlich tragischer Situationen helfe. (sams)