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Politik

Fragen nach dem Tod eines Kindes

Sabrina Pabst
6. Juni 2017

Ein Fünfjähriger wurde bei einer Messerattacke in einer Asylunterkunft tödlich verletzt. Schon wird die Forderung nach konsequenten Abschiebungen lauter. Warum ist nicht jeder abgelehnte Asylbewerber ausreisepflichtig?

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Zwei Tote in Asylunterkunft nahe Arnschwangv
Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Ein fünfjähriger Junge wurde in einer Asylunterkunft im bayrischen Arnschwang erstochen, seine russische Mutter schwer verletzt. Der gerade mal sechs Jahre alte Bruder wurde Zeuge dieses Dramas. Der mutmaßliche Täter: Ein 41 Jahre alter Asylbewerber aus Afghanistan. Er wurde von der Polizei mit acht Schüssen getötet.

Auch drei Tage nach dem brutalen Mord sind die Hintergründe der Tat noch unklar und das Entsetzen groß. Die Mutter des Jungen konnte erst am Dienstagnachmittag vernommen werden. Details sind noch nicht bekannt. Was die Tat politisch heikel macht: Der Messerstecher war ein verurteilter Straftäter und trug eine elektronische Fußfessel.

Die Biografie des Täters

Der heute 41-Jährige war im November 2005 mit einem Visum legal nach Deutschland eingereist. Zusammen mit seiner Familie lebte er in einem Münchner Appartement. Dort legte er im Dezember 2008 Feuer. Verletzt wurde damals niemand. Wegen Brandstiftung wurde der Mann im Herbst 2009 zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Er kam ins Gefängnis.

Afghanistan Kabul Flughafen Ankunft abgelehnte Asylbewerber Obaid Ros. (Foto: picture-alliance/dpa/M. Jawad)
Aus Deutschland abgeschobene Flüchtlinge verlassen das Flughafengelände in KabulBild: picture-alliance/dpa/M. Jawad

Mit Bescheid der Stadt München vom 13. Juli 2011 wurde der verurteilte Straftäter aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Gegen diesen Bescheid konnte sich der Afghane wehren, denn noch während seiner Haft stellte der Mann einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Warum wurde der Täter nicht vorher abgeschoben?

Für Afghanistan besteht eigentlich kein Abschiebestopp für verurteilte Straftäter, sagt Bernd Mesovic von der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Obwohl das BAMF den Asylantrag des Brandstifters ablehnte, verhinderte ein 2014 vom Verwaltungsgericht München ausgesprochenes Abschiebeverbot die Rückkehr nach Afghanistan.

Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums hatte der Anwalt des Inhaftierten argumentiert, dass sein Mandant nicht abgeschoben werden dürfe, da er zum Christentum konvertiert sei. Dadurch drohe ihm in seiner Heimat der Tod. Dieser Argumentation folgte das Verwaltungsgericht München und entschied, die Abschiebung auszusetzen. Eine solche Entscheidung ist für das BAMF bindend. Somit wurde der spätere Täter von Arnschwang in Deutschland zum "geduldeten" Asylbewerber.

Wer sind "Geduldete"?

Eine sogenannte Duldung der Ausländerbehörde bedeutet, dass ein Migrant die Bundesrepublik verlassen müsste, die Abschiebung aber vorübergehend ausgesetzt ist. Wird ein Ausländer straffällig, ist sein Aufenthalt theoretisch in Gefahr. In der Praxis gibt es aber auch bei Straftätern viele Abschiebungshindernisse wie etwa Herkunftsländer, die sich weigern, ihre Staatsbürger zurückzunehmen oder fehlende Ausweisdokumente. In solchen Fällen versuchen die deutschen Behörden, Ersatzpapiere im Herkunftsland zu beschaffen - das kann aber dauern.

Weitere Abschiebehindernisse können Kriege sein oder eine Krankheit, die in der Heimat des Asylbewerbers nicht behandelt werden kann. Es kann sich aber auch - wie im aktuellen Fall - um eine Gefahr für Leib und Leben etwa aufgrund der Religionszugehörigkeit handeln. Das Abschiebungsrecht ist in den Paragraphen 58 und folgende des Aufenthaltsgesetzes geregelt.

Zwei Tote in Asylunterkunft
In der Unterkunft in Arnschwang wartete die Mutter des getöteten Jungen auf ihren AsylbescheidBild: picture alliance/dpa/A.Weigel

Die Kreisbehörde Cham, die für die Gemeinde Arnschwang zuständig ist, lehnte zunächst die im Juni 2015 erneut beantragte dauerhafte Aufenthaltserlaubnis des Afghanen ab. Danach sprachen die Mitarbeiter die Duldung jeweils nur monatsweise aus.

Warum lebte der Täter in einer Gemeinschaftsunterkunft?

"Warum war jemand, der nach so einer langen Haftstrafe freigelassen wurde und noch immer als gefährlich eingeschätzt wurde, in einer ganz normalen Flüchtlingsunterkunft untergebracht?", fragt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Vieles ist noch nicht geklärt. Fest steht: Im Januar 2015 konnte der Afghane das Gefängnis verlassen. Nach der Haftentlassung wurde ihm der Kontakt zu bestimmten Personen verboten, unter anderem zu seiner früheren Ehefrau. Er durfte den Landkreis Cham nicht verlassen und musste eine elektronische Fußfessel tragen.

Weil der Mann kein anerkannter Flüchtling war, unterlag er dem Asylbewerberleistungsgesetz und war verpflichtet, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen, teilte die zuständige Regierung der Oberpfalz in Regensburg der DW mit. Der Afghane kam nach seiner Haftentlassung kurzzeitig in eine Einrichtung im bayerischen Zirndorf, anschließend wurde er in die Unterkunft nach Arnschwang verlegt. Bis zum vergangenen Samstag geriet der Mann nur einmal - wegen Schwarzfahrens - mit dem Gesetz in Konflikt.

Nach Auskunft der Regensburger Behörde gab es "für die Mitarbeiter vor Ort keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es zu einer solchen Eskalation mit der betroffenen russischen Familie kommen könnte". Weiter heißt es: "In der Oberpfalz gibt es keine Gemeinschafts- oder dezentrale Unterkunft, in der ausschließlich Einzelpersonen oder kinderlose Ehepaare untergebracht werden."

Abschiebehaft statt Asylunterkunft?

Eine sogenannte Abschiebehaft kommt für Zuwanderer nur dann in Frage, wenn ein Ausländer unmittelbar ausreisepflichtig ist, Deutschland aber nicht freiwillig verlässt. Diese maximal sechs Monate dauernde Abschiebehaft muss gerichtlich angeordnet werden. Das darf sie aber auch nur, wenn das Gericht keine andere Chance hat, die Ausreise durchzusetzen. Für Geduldete wie den 41-Jährigen trifft das nicht zu.

Straftäter abschieben - ja oder nein?

Die Fälle müssen individuell geprüft werden, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. "Es gibt Fälle, in denen ist es gesetzlich klar untersagt." Deutschland dürfe niemanden in sein Herkunftsland abschieben, dem Folter oder die Vollstreckung der Todesstrafe drohten, erläutert der Leiter der Abteilung Rechtspolitik bei Pro Asyl: "Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet uns, Menschen in ein Land zu schicken, wo ihnen konkret die Folter droht. Die Todesstrafe ist so ein Abschiebungshindernis. Eine Ausnahme wäre es, wenn der aufnehmende Staat rechtlich überzeugend zusichern würde, dass man den Menschen nicht hinrichten wird, sondern gegebenenfalls nur in Haft nimmt oder ein rechtsstaatliches Verfahren durchführt."