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Franke: "Fußball wird zur Zirkusveranstaltung"

Mathias von Lieben
3. September 2017

Die Ablösesummen der diesjährigen Transferperiode im Profi-Fußball nehmen groteske Formen an. Wo soll das enden? Der Sportphilosoph Elk Franke spricht im DW-Interview von "modernen Transfer-Fußballsklaven".

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Elk Franke Dopingexperte und Sportphilosoph
Bild: Imago

DW: "Der Gott des Geldes wird immer größer. Und irgendwann verschlingt er alles." Das Zitat stammt nicht von einem Philosophen, sondern vom Trainer des SC Freiburg, Christian Streich. Herr Franke, was entgegnen Sie ihm?

Elk Franke: Als Trainer des SC Freiburg hat er noch mal eine etwas andere Distanz zu diesem Betrieb, weil er nur einen Bruchteil des Geldes zur Verfügung hat, das andere Vereine nutzen können. Er blickt etwas skeptischer auf die Branche und bewertet den Aspekt des Geldes anders. Ich würde ihm zustimmen.

Die Ablösesummen für Fußballprofis haben in diesem Sommer groteske Züge angenommen. Ousmane Dembélé hat für rund 140 Millionen Euro Ablöse inklusive Boni den Verein gewechselt, Neymar für 222 Millionen Euro – und zum Ende der Transferperiode noch Kylian Mbappé für 180 Millionen Euro: Wo soll das enden?

Da kann man nur spekulieren. Wir sind auf jeden Fall Zeitzeugen eines Prozesses, in dem sich das beim Zuschauer verbreitete Bild eines homogenen Fußballs-Betriebs auflöst. Es wird ein Unterhaltungs-Fußball etabliert, der nach anderen Gesichtspunkten abläuft und sich dadurch irgendwann selbst ad absurdum führt. Die Zuschauer haben immer höhere Ansprüche daran, wie sie unterhalten werden wollen. Diese Art von Fußball wird eine Zirkusveranstaltung werden, die sich mehr an Konsuminteressen als einem fairen, sportlichen Wettbewerb orientiert.

FIFA 2018 WM Qualifikation Frankreich - Niederlande Kylian Mbappe
Kylian Mbappé, hier nach seinem Tor zum 4:0 im WM-Qualifikationsspiel Frankreichs gegen die Niederlande, geht demnächst auch für Paris Saint-Germain auf Torjagd. Bild: picture-alliance/abaca/C. Liewig

Die Transfer-Millionen von Paris-Saint-Germain für Neymar und Mbappé kommen vom Emir von Katar. Kritiker sagen: Der gesamte Verein und auch der Neymar-Transfer dienen der Imagepflege Katars, des WM-Gastgeberlandes 2022.Wie viel Instrumentalisierung verträgt der Fußball?

Die Instrumentalisierung kann leider durch das sportliche Ereignis selbst oft verschleiert werden. Solange das Ergebnis nach 90 Minuten offen ist und nicht von den Geldsummen direkt - z.B. durch Manipulationsversuche - vorbestimmt ist, sehen die Menschen keine Gefahr.

Das sogenannte "Financial Fair Play" könnte ein Instrument sein, um verantwortungsloses und unfaires Wirtschaften zu regulieren. Im Fall Mbappés wird es mit einem Trick aber einfach umgangen. Sind Sportverbände wie die UEFA zu abhängig von den Vereinen und Investoren, als dass eine Regulierung in ihrem Interesse wäre?

Es war bislang immer so, dass die übergeordneten Verbände für die Vereine den Ablauf eines Spielbetriebs organisieren und faire Spielbedingungen schaffen. Neu ist, dass die Vereine mittlerweile selbst so viel Geld generieren und damit zu einem mächtigen Player geworden sind. Die Verbände könnten als letztes scharfes Schwert, Lizenzen verweigern. Aber sie profitieren ja selbst auch von den großen Transfers und den Geldflüssen. Daher geben sie klein bei und arbeiten mit stumpfen Schwertern.

Auf der einen Seite profitieren die Fußballprofis enorm von der Entwicklung, indem sie immer mehr Geld verdienen. Sind sie auf der anderen Seite als Spieler aber nicht auch Opfer eines Systems, das sie immer mehr wie moderne Sklaven behandelt?

Ja, selbstverständlich. Das ist auch bisher noch viel zu wenig herausgestellt worden. Das sind junge, talentierte Leute, die wie eine Rakete in die Fußball-Öffentlichkeit hinausgeschossen werden. Solange sie gesund und erfolgreich spielen können, werden sie diesen Prozess genießen. Gleichzeitig geht es hier um endliche, menschliche Fähigkeiten. Die Erwartungen an die Spieler werden aber durch die Summen ins Unendliche steigen. Und mittlerweile machen ja immer früher noch bessere Nachwuchstalente Druck. Deswegen kann man das Scheitern dieser Transfer-Fußballsklaven schon prognostizieren. Aber bis dahin leben die Spieler in ihrer Scheinwelt fort.

Die Unterschiede zwischen den Transfersummen und auch den Gehältern der Profis werden immer größer. Dabei geht es auch um die soziale Frage im Fußball und um eine steigende Ungleichheit. Inwiefern ist das ein Abbild für unsere Gesellschaft und den Turbo-Kapitalismus?

Der flotte Spruch, "Sport ist ein Abbild der Gesellschaft", trifft bei der momentanen Hierarchisierung der Mitglieder eines Systems ganz klar zu. Da gibt es ja auch Parallelen zu der Autobranche. Schauen wir auf Herr Winterkorn bei VW [Martin Winterkorn ist ehemaliger Vorstands-Vorsitzender von Volkswagen und im Zuge des VW-Abgasskandals 2015 zurückgetreten, Anm. d. Red.]. Der hat in einem Jahr so viel verdient wie die einfachen Mitarbeiter im ganzen Berufsleben nicht ansatzweise verdienen werden. Eine Zeitlang funktioniert das noch, gleichzeitig steigt aber auch im Fußball die Sensibilität für diese Ungerechtigkeit.

Julian Nagelsmann, der Trainer der TSG Hoffenheim hat kürzlich ein interessantes Konzept vorgeschlagen. Nach dem Neymar-Transfer hat er  eine Ablöse-Obergrenze von einer Million Euro gefordert - der Rest (221 Millionen Euro) solle verpflichtend an bedürftige Kinder, Behinderte oder Obdachlose umverteilt werden. Ein utopischer Vorschlag?

Champions League Liverpool - TSG 1899 Hoffenheim Julian Nagelsmann
Nagelsmann für Ablöse-Obergrenze und UmverteilungBild: picture-alliance/empics/L. Cameron

Nein, ich fand das eher angemessen. Aber diese Deckelungen formaler Art werden nicht ganz einfach sein. Eine andere Möglichkeit wäre das amerikanische Modell, in dem den schwächeren Vereinen immer das erste Zugriffsrecht auf Nachwuchsspieler zugebilligt wird. Der Wettbewerb, der ja eigentlich den klassischen Sport ausmacht, lebt ja von der Konkurrenz unter möglichst großer Gleichheit. Wenn man aber so eine Deckelung durchsetzt, muss man fragen: Wer macht das und wer setzt es durch? Die Vorschläge sind wichtig, ganz besonders für den sozialen Bereich. Ich glaube nur leider, dass die Instrumente dafür nicht vorhanden sind.

Mats Hummels hat angekündigt, im Rahmen des Projekts "Common Goals" ab sofort ein Prozent seines Bruttogehalts  für wohltätige Zwecke zu spenden: Kann ein solcher Impuls aus dem Kreis der Profis helfen?

Es gibt ja immer noch Profis, die bei dem Geldbetrieb und der Art und Weise, wie die Medienöffentlichkeit ihnen den roten Teppich ausrollt, trotzdem noch ihre Sozialisierungs-Brillen aufsetzen. Die haben noch ein Gespür dafür, dass die Welt außerhalb des Goldkäfigs Fußball ganz anders aussieht. Deshalb finde ich es gut, dass überhaupt etwas gespendet und umverteilt wird. Das sollte unterstützt und von den Medien auch positiver ausgelegt werden.

Prof. Dr. Elk Franke ist Sportphilosoph und Sportwissenschaftler und setzt sich seit einigen Jahre mit Ethikfragen in der Sportwelt auseinander. Er hatte seit 1980 verschiedene Professuren im Bereich der Sportwissenschaft, Sportphilosophie und Sportpädagogik inne.

Das Interview führte Mathias von Lieben.