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Zidane - und dann?

Tina Gerhäusser9. Juni 2008

Frankreich will bei der EURO seinen dritten EM-Titel holen. Doch 'Les Bleus' müssen in der härtesten Gruppe antreten: gegen Italien, die Niederlande und Rumänien. Das wird schwierig ohne einen echten Fußballhelden.

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Ihm gehört die Zukunft: Karim BenzemaBild: picture-alliance/dpa

Zinedine Zidane hat sich schnell noch eine neue Brille besorgt. Kurz vor der Europameisterschaft macht Frankreichs Fußballidol im Ruhestand Werbung für einen Optiker. In einem Fernsehspot zeigt er ein paar Schüsse, die seine Kollegen in der Equipe Tricolore im Juni ganz gut gebrauchen könnten. Aber das will in der Heimat des tragischen WM-Zweiten 2006 gerade niemand so richtig sehen.

"Frankreich ist auch schon ohne Zidane Europameister geworden: 1984 mit Michel Platini", sagt Jean-Marc Butterlin von der Sportzeitung L'Equipe. Das klingt fast ein bisschen trotzig, aber sofort räumt er ein, dass keiner so recht wisse, wer diesen "Führer und Charmeur", den "Fußballer, der alles hatte" in den schwierigen Momenten des Turniers ersetzen soll.

Auf die Defensive ist Verlass

WM 2006 - Togo - Frankreich
Bei der WM 2006 traf er gegen Togo: Routinier Patrick VieiraBild: AP

Der Trainer der französischen Nationalmannschaft, Raymond Domenech, hat sich darüber natürlich auch seine Gedanken gemacht. Er setzt auf drei bewährte Spieler: Patrick Vieira, der Zidanes Nachfolger als Kapitän wurde, Lilian Thuram, der Abwehrchef, der so viele Spiele für Frankreich absolvierte wie kein anderer - und auf Außenverteidiger Willy Sagnol. Erfahren, aber über 30 und zuletzt nicht gerade erfolgreich in ihren Clubs.

"Darin liegt natürlich ein Risiko", sagt Jean-Marc Butterlin, "aber zugleich auch eine riesige Hoffnung." Denn auch wenn die drei bei Inter Mailand, Barcelona und Bayern München Durchhänger hatten, für die EM sind sie bereit alles zu geben. Zumindest für Vieira und Thuram ist es das letzte Turnier ihres Lebens. Nur Torjäger sind sie eher selten - wie Thuram mit seinen beiden einzigen Toren für Frankreich bei der EM 1998.

Auf die Offensive darf man gespannt sein

Das macht auch nichts, weil die Franzosen auf dem Rasen traditionell eher defensiv eingestellt sind, und Domenech daran nichts geändert hat, seit er im Sommer 2004 Trainer wurde. Und doch gerät Jean-Marc Butterlin erst richtig ins Schwärmen, wenn er von den jungen Offensiven, den neuen Hoffnungsträgern spricht.

Frankreich Franck Ribery Nationalspieler Fussball EM
Franck Ribéry, der Trickser vor dem TorBild: AP

Franck Ribéry, der Schalk vor dem Tor, gehört da fast schon nicht mehr dazu - so etabliert ist er in der Equipe seit der WM 2006 und der Super-Saison bei Bayern-München. Die EURO 2008 ist seine erste EM und sie könnte sein Turnier werden. "Vielleicht vergleicht man ihn am Ende mit Zidane", sagt Butterlin.

Doch die Zukunft gehört Stürmern wie Karim Benzema: 21 Jahre alt, 17 Saisontore für Olympique Lyon und Frankreichs "Fußballer des Jahres". Gemeinsam mit seinem Vereinskollegen Hatem Ben Arfa und mit Samir Nasri von Olympique Marseille eine vielversprechende Generation.

Eine Mannschaft am Wendepunkt

Frankreich Raymond Domenech Nationaltrainer Fussball EM
Trainer Raymond Domenech mag's eher defensivBild: AP

Von heute auf morgen wird sich das Spiel der "Bleus" aber nicht ändern, meint Jean-Marc Butterlin. Er kann sich nicht vorstellen, dass Trainer Domenech seine Devise "erst hinten sichern und solide stehen, dann nach vorne spielen" aufgibt. Aber die Equipe steht an einem Wendepunkt, und da darf man als französischer Sportjournalist durchaus von Vorbildern aus guten alten Zeiten träumen.

1984, da waren die Franzosen unschlagbar, mit einem Mittelfeld nur aus Offensivspielern, mit einem unbändigen Drang nach vorn. "Unsere beste Mannschaft", sagt Butterlin. Die Helden auf dem Feld damals bei der Europameisterschaft im eigenen Land waren Alain Giresse, Luis Fernandez, Yannick Stopyra und Michel Platini. Sie gewannen alle Spiele samt dem Finale gegen Spanien und der große Platini schoss 13 Tore in einem Turnier.

Thierry Henry, Frankreich, WM 2006
Der erfolgreichste Torschütze Frankreichs: Thierry HenryBild: dpa

Das gelang Platinis Erben Thierry Henry nie, auch wenn der Jüngere im letzten Herbst den Torrekord des Alten brach - inzwischen 44 Tore für Frankreich. Zum Star wurde Henry während der Europameisterschaft 2000, als die Equipe den zweiten EM-Titel holte: diesmal gegen Italien, in der Verlängerung per Golden Goal durch David Trezeguet. Damit war Frankreich Favorit für die EM 2004. Aber aus der Titelverteidigung wurde nichts. Im Gegenteil, das Aus schon im Viertelfinale gegen Griechenland - "eine riesige Enttäuschung", erinnert sich Butterlin.

... doch die Ambitionen bleiben

Die Leistung wird in diesem Jahr besser sein, da sind sich die Fans der Equipe sicher. "Wir kommen ins Finale, mindestens aber ins Halbfinale", lautet die Prognose vom Pariser Bürgersteig. Daran zweifelt auch Sportjournalist Jean-Marc Butterlin nicht. Er hat schon einen Lieblingsgegner für das Endspiel der EM 2008: Deutschland. "Der Moment ist gekommen", sagt er. "Ich traue es Frankreich zu, dass sie Deutschland schlagen - im Elfmeterschießen."

Falls es dazu kommen sollte, könnte sich der neue Torwart Nummer 1 der Franzosen bewähren: Gregory Coupet von Olympique Lyon. Bei der WM 2006 hatte er noch zusehen müssen, wie Fabien Barthez keinen einzigen Schuss hielt, nachdem Zidane die Mannschaft nach seinem Foul-Kopfstoß verlassen hatte.