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Französische Wirtschaft in der Krise

Rafael Heiling10. Oktober 2003

Frankreich ist 2003 knapp an einer Rezession vorbeigeschrammt: Das Land steckt wirtschaftlich im tiefsten Tal seit 1993. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos - wenn die Regierung den Mut für Reformen aufbringt.

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Frankreich vor der Entscheidung: Der Weg aus der Flaute führt nur über ReformenBild: Bilderbox

Das nationale französische Statistikamt INSEE prophezeit für 2003 nur noch 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum. Besonders im zweiten Quartal des Jahres habe es düster ausgesehen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sei in diesem Zeitraum sogar um 0,3 Prozent gesunken. Steigen werde dagegen die Arbeitslosigkeit - auf 9,9 Prozent, nach 9,6 Prozent im August 2003. Keine Daten zum Frohlocken. Die Lage habe sich sich verschlechtert, sei aber nicht katastrophal, beruhigt Henrik Uterwedde, Vize-Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg.

Statt Konsum nur Unsicherheit

Nach Ansicht des Wirtschaftsexperten ist Frankreich ins Stolpern geraten, "weil die klassischen Wachstumsmotoren ausgefallen sind". Die Nachfrage im Inland, "sonst immer ein verlässlicher Wachstumsträger", sei schon 2002 eingebrochen. Unternehmen würden kaum noch investieren, und auch die Exporte seien zurückgegangen. "Dazu kommen die umfangreichen Streiks vom Frühjahr, die ja auch die Wirtschaft getroffen haben", erklärt Uterwedde im Gespräch mit DW-WORLD. Außerdem sei Frankreich ein Opfer der weltweiten Wachstumsschwäche.

Das Ergebnis all dieser Ausfälle: miese Stimmung. Obendrein stecke Frankreich mitten in einer Debatte über den Umbau des sozialen Systems. "Was man beobachtet, ist eine tiefe Verunsicherung wegen der Reformdiskussion", berichtet der Experte: "Die Sparquote ist so hoch wie nie zuvor."

Kritik: Euro-Pakt erdrosselt das Wachstum

Die Ungewissheit, ob nicht EU-Sanktionen drohen, macht die Lage nicht einfacher: Höchstwahrscheinlich wird Frankreich die magische Neuverschuldungs-Grenze von drei Prozent des BIP verfehlen. Uterwedde betont zu diesem Punkt finde "eine typisch französische Diskussion" statt: Der Stabilitätspakt für den Euro halte die Staaten davon ab, bei Wirtschaftskrisen gegenzusteuern - so laute die französische Sichtweise. Die EU-Kommission "kann uns bitten, den Stabilitätspakt besser zu respektieren, nicht aber, bestimmte Ausgaben auszusetzen oder die Steuern zu erhöhen", hatte Finanzminister Francis Mer in einem Zeitungsinterview bekundet.

Um wirtschaftlich wieder für Schönwetter zu sorgen, blieben Frankreich nur "mutige Strukturreformen", sagt Uterwedde. "Ein ähnliches Problem wie in Deutschland für Gerhard Schröder und seine Agenda 2010." Überhaupt sieht der Wissenschaftler "bezeichnende Parallelen" zwischen den beiden Staaten: "Man hat erkannt, dass man das Wachstumspotenzial nur anheben kann, wenn man sich auf die Wissensgesellschaft einlässt" - also müsse Frankreich mehr Geld für Forschung ausgeben und das Bildungssystem umbauen.

Gesundheitsreform hat Verspätung

Eine Reform des Gesundheits-Systems habe die Regierung zu sehr auf die lange Bank geschoben, "die Krankenversicherung hat ein Milliarden-Defizit angehäuft". Außerdem würden zu viele Franzosen im öffentlichen Dienst arbeiten. Doch ein Stellenabbau "ist gerade in Frankreich, wo der Staatssektor ein hohes ideelles Gewicht hat, sehr umstritten".

Was Frankreich nach Uterweddes Einschätzung unbedingt braucht, ist Vertrauen. Bei den eigenen Wählern, aber auch international, "wo Frankreich wie Deutschland gesündigt hat" - vor allem "durch polemische Diskussionen mit Brüssel". Dass sich das Land bald wieder erholt, daran zweifelt Uterwedde nicht. "Fürs nächste Jahr ist man verhalten optimistisch", sagt er. Wenn sich die Wirtschaft in den USA erhole, könnte das zusätzlich helfen. Dann müsse Frankreich nur darauf achten, politisch geschickt zu handeln und "das zarte Pflänzchen Aufschwung" nicht zu zertrampeln.