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"Freie Willensbildung in Transnistrien nicht möglich"

21. September 2006

Die OSZE erkennt das Referendum in Transnistrien nicht an. Claus Neukirch von der OSZE-Mission in Moldova erläutert die Vorbehalte der internationalen Gemeinschaft. Vergleiche mit Kosovo oder Montenegro lehnt er ab.

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DW-RADIO/Russisch: Die OSZE hat bereits erklärt, dass sie weder das Referendum noch seine Ergebnisse anerkennt. Warum?

Claus Neukirch: Zuerst muss man sich vor Augen halten, dass die OSZE-Mission hier in der Moldau von allen OSZE-Teilnehmerstaaten inklusive der Russischen Föderation das Mandat hat, den beiden Seiten dabei zu helfen, eine politische Lösung für den Konflikt zu finden. Diese Lösung soll zwei Sachen beinhalten: Einen Sonderstatus für die transnistrische Region, aber auch die Stärkung der Unabhängigkeit und der territorialen Integrität der Republik Moldau. Das Referendum am 17. September wurde von der transnistrischen Seite unilateral, ohne Verhandlungen, ohne Absprache, angesetzt. Das ist das Eine. Das Zweite ist, es stellt die territoriale Integrität der Republik Moldau in Frage. Darüber hinaus muss man sich auch vor Augen halten, dass es derzeit in Transnistrien keine Voraussetzung für eine freie Willensbildung der Bevölkerung gibt. Daher sind die wesentlichen Voraussetzungen für ein Referendum, wie es unter anderen Umständen möglich sein könnte, nicht gegeben. Des Weiteren möchten wir darauf hinweisen, dass die Art und Weise, wie diese Fragen gestellt worden sind, das Ergebnis bereits vorwegnehmen. Wir haben es hier mit Suggestivfragen zu tun, in denen die Leute im Prinzip gefragt werden - wenn man es etwas überspitzt darstellt - ob sie für die Unabhängigkeit und für die Vereinigung mit der Russischen Föderation oder ob sie gegen die Unabhängigkeit sind und für den Anschluss an die Republik Moldau. Die Fragen sind suggestiv, und sie sind auch konfus.

Welche Bedingungen für freie Wahlen fehlen in Transnistrien Ihrer Meinung nach?

Um über eine freie Wahl sprechen zu können, muss man in erster Linie in der Lage sein, sich aus verschiedenen Quellen zu informieren. Es gibt in der transnistrischen Region der Republik Moldau leider derzeit keine Pressefreiheit. Es ist so, dass jeder, der dort für die Reintegration der Region in die Republik Moldau eintritt, in der Vergangenheit von den Staatssicherheitsbehörden der nicht anerkannten Region verfolgt worden ist. Das heißt, Sie haben überhaupt keine Kampagne für oder gegen die Reintegration in die Republik Moldau, sondern es gibt nur Propaganda in eine Richtung. Das Zweite ist: Solange Beamte des Sicherheitsdienstes in den Wahllokalen dieser Region präsent sind, können sie mit Sicherheit nicht über demokratische Wahlen sprechen.

Russland unterstützt die Unabhängigkeitsbestrebungen von Transnistrien. In Moskau scheint man darauf zu setzen, dass im Falle der wahrscheinlichen Unabhängigkeit von Kosovo auch die Unabhängigkeit von abtrünnigen Regionen wie Transnistrien in der Moldau sowie Südossetien und Abchasien in Georgien in Frage kommen können. Kann man in diesen Fällen überhaupt Parallelen ziehen?

Wir haben natürlich gehört, dass in verschiedenen Fällen Parallelen gezogen werden, dass man uns auch den Vorwurf gemacht hat, doppelte Standards zu haben. Aber ich möchte auf zwei Dinge hinweisen im Vergleich zum Kosovo und zu Montenegro. Zum Kosovo: Dort gab es einen Krieg, in dem sehr viele Menschen auf sehr tragische Weise ums Leben gekommen sind. Es gibt Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen. Das gibt es im Fall der Republik Moldau nicht. Wenn man über den Kosovo redet, redet man auch dort über einen Verhandlungsprozess, in dem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die letzte Entscheidung trifft. Auch im Kosovo haben Sie keine unilateral angesetzten Referenden außerhalb eines Verhandlungsprozesses. Dort ist die internationale Gemeinschaft präsent, um die Mindeststandards für freie und faire Wahlen und im Zweifelsfall für ein Referendum sicherzustellen. Eine ähnliche Situation haben Sie in Montenegro. Auch dort war das Referendum Resultat eines Verhandlungsprozesses zwischen Belgrad und Podgorica, auch dort waren die wesentlichen Voraussetzungen für freie und faire Wahlen gegeben, und entsprechend wurde dieses Referendum auch anerkannt. Was die OSZE betrifft, so hat der amtierende Vorsitzende bereits im Juli festgestellt, dass ein Referendum über den zukünftigen Status Transnistriens durchaus eine Möglichkeit wäre – aber nur dann, wenn ein solches Referendum und die entsprechende Frage Resultat eines Verhandlungsprozesses ist.

Das Interview führte Sergej Wilhelm
DW-RADIO/Russisch, 15.9.2006, Fokus Ost-Südost