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Freiheit für die Gummibärchen?

Bernd Riegert4. Oktober 2006

Unerwarteter Tatendrang in Brüssel: Alte Zöpfe werden zerfetzt. Na ja: nicht gleich. Denn eine gute alte EU-Regelung sieht natürlich Übergangsfristen vor. Unterschiedliche - damit es nicht zu übersichtlich wird.

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"Hurra! Lasst uns niederknien diesen Tag zu preisen!" So oder ähnlich möchte man ausrufen, weil sich Ministerrat und EU-Kommission jetzt durchgerungen haben, die erste überflüssige EU-Richtlinie tatsächlich abzuschaffen. Nach dem die Entbürokratisierungsinitiative (ein EU-Wort mit 29 Buchstaben) ein gutes Jahr gereift ist und knapp 40 Regelwerke als abschaffungswürdig gebrandmarkt hat, wird jetzt tatsächlich gehandelt.

Die Opfer sind zwei EU-Richtlinien und 25 nationale Verordnungen, die Packungsgrößen und Nennfüllmengen für Milch, Kaffee, Zucker und 60 weitere Produkte vorgeben. Zucker darf in Deutschland bisher nur in Ein-Kilo-Paketen verkauft werden. Kaffeepakete müssen durch 500 Gramm teilbar sein. Frische Milch gibt es nur in 1-Liter-Kartons oder -Flaschen. Heldenhaft wagten sich die EU-Minister vor und schworen feierlich, die überkommene Regelung zu tilgen. Der Verbraucher soll entscheiden wie viel er kauft, nicht der Minister!

Preis- und Packungschaos?

Das Argument, Preisvergleiche seien ohne genormte Verpackungen nicht möglich, wischt die EU mutig vom Tisch. Schließlich müsse der Preis ja zu Vergleichszwecken pro 100 oder 1000 Gramm ausgezeichnet werden (auch eine EU-Verordnung!). Das müsse reichen. Verbraucherschützer und Teile des EU-Parlaments warnen trotzdem vor Preis- und Packungschaos in europäischen Supermärkten.

Weil der Abschied von lieb gewonnener Bürokratie und Regelungswut unendlich schwer fällt, haben die zuständigen Minister Übergangsfristen beschlossen, die, damit es schön unübersichtlich wird, je nach Land unterschiedlich ausfallen. In Spanien, Italien und Frankreich beträgt die Übergangsfrist maximal fünf Jahre für Nudeln und Zucker. In Deutschland fallen die Packungsgrenzen schon in eineinhalb Jahren. Deutsche Packungen mit krummen Grammzahlen dürfen aber auch schon während der Schonzeit in Spanien oder Italien in die Regale. Die Ausnahme von der Ausnahme. Klar!

Zuvor allerdings muss das EU-Parlament dem Entbürokratisierungsvorstoß des Ministerrates noch zustimmen. Mein ganz bescheidener Appell an die Volksvertreter in Straßburg: Lasst alte basisdemokratische Träume wahr werden! Freiheit für die Gummibärchen. Weg mit den Tüten!