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Das Freedom-Theatre aus Jenin

Bettina Kolb18. Juni 2012

Sie haben gekämpft, wurden bedroht, verhaftet. 2011 wurde ihr Mentor erschossen: Die palästinensische Theater-Kompanie Jenin wehrt sich mit Kunst gegen die Besatzung. Das Freiheitstheater zu Gast in Berlin.

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###Nur einmalig im Zusammenhang mit der Berichterstattung über das FreedomTheater verwenden!''' Theateraufführung Freedom-Theater-Absolventen spielen Godot Absolventen Freedom Theater 15.6.2012 Berlin Angabe der Quelle/des Zulieferers: Freedom Theater Rechteeinräumung: mündlich eingeholt Copyrightangabe: (©Freedom-Theater) Thematische oder zeitliche Nutzungsbeschränkungen: kostenfreie, einmalige Nutzung für Artikel Zugestellt von Aygül Cizmecioglu
Freedom-Theater-Absolventen spielen GodotBild: Freedom Theater

Mitten im Gespräch zieht Schauspieler Rabee Turkman sein T-Shirt hoch. "Hier, die Narbe. Viermal haben israelische Kugeln mich getroffen." Im Jahr 2000, als die zweite Intifada ausbricht, ist Rabee 16. Er schließt sich den Al-Aksa Brigaden an, dem bewaffneten Arm der Fatah. Sieben Jahre kämpft er mit der Waffe: "Sieben Jahre habe ich in den Bergen geschlafen und auf der Straße." Als israelische Soldaten ihn verhaften wollen, gerät seine kleine Schwester in die Schusslinie und stirbt.

Heute ist Rabee "ein Freiheitskämpfer ohne Waffe" und steht in Berlin auf der Bühne, gemeinsam mit vier anderen Schauspiel-Absolventen des Freedom Theaters aus Jenin. Am Ballhaus Naunynstraße zeigen sie "While Waiting" – eine Interpretation von Samuel Becketts "Warten auf Godot". Dass Rabee heute mit der Kompanie in New York, Finnland und Berlin auftritt, hat er einem Mann zu verdanken: Juliano Mer Khamis.

Theaterinszenierung "While Waiting"
Freedom-Theater spielt GodotBild: Freedom Theater

2006 gründet der bekannte Schauspieler in Jenin das Freedom Theater. Der Sohn einer israelischen Jüdin und eines christlichen Palästinensers sieht im Theater einen revolutionären Akt des gewaltfreien Widerstands und die Hoffnung, dass junge Palästinenser sich frei spielen können. Damit macht er sich sowohl auf israelischer Seite als auch unter konservativen Palästinensern nicht nur Freunde. Am 4. April 2011 wird Juliano Mer Khamis in Jenin vor dem Freedom Theater von Unbekannten erschossen.

Juliano Mer-Khamis
Juliano Mer-KhamisBild: AP

Absurdes Theater für eine absurde Situation

Seine Schauspielschüler stehen unter Schock. Doch dann beschließen sie, ihrem Mentor und Idol ihr Abschlussstück zu widmen: "Die Absurdität Becketts passt perfekt zu diesem sinnlosen Mord", sagt Udi Aloni, israelischer Regisseur und ein Freund Mer Khamis. Er springt für den Ermordeten ein. Die Probenphasen sind schwierig. Immer wieder werden Mitarbeiter und Schauspielschüler des Freedom Theaters von der israelischen Armee verhaftet.

So wie Rami Hwayel. Einen Monat saß der Schauspieler ohne Anklage im Gefängnis, darf nicht einmal seinen Text lernen. "Wegen dieser Willkür müssen wir eigentlich alle Rollen doppelt besetzen", sagt Aloni.

Doppelte Revolution

"Sie haben uns also unsere Rechte genommen? - Nein, wir haben sie aufgegeben."

Diesen Beckett-Dialog auf Arabisch von zwei palästinensischen Frauen zu hören, ist für Udi Aloni eine sehr starke Botschaft. Gleich mehrere Tabus werden hier gebrochen. Denn Samuel Beckett hat strikt verboten, dass Frauen die Rollen von Wladimir und Estragon spielen. Aber die größere Revolution ist es, dass zwei Schauspielerinnen aus Jenin auf der Bühne stehen. Batoul Taleb (Estragon) und Mariam Abu Khaled (Wladimir) sind die ersten Frauen in den besetzten palästinensischen Gebieten, die gemeinsam mit Männern Theater machen. In Jenin wurden sie dafür auf der Straße schon oft beschimpft.

Theaterinszenierung "While Waiting"
Junge Schauspielerinnen aus Jenin auf der TheaterbühneBild: Freedom Theater

Jenin ist eine der konservativsten Städte im Westjordanland. Nach 16 Uhr sieht man kaum noch Frauen auf der Straße. Laute Musik, Gelächter und jede Art "westlicher" Kultur sind vielen hier ein Dorn im Auge. Auch gegen diese Art der „Okkupation in den Köpfen" zu kämpfen, haben die Schauspieler von Juliano Mer "hamis gelernt.

Kleine Freiheit

Seit dem Tod ihres Mentors lebt die fünfköpfige Absolventen-Truppe gemeinsam in Ramallah. Hier wird Kultur geschätzt, es gibt mehr Freiräume. Sie wollen weiter Schauspiel studieren und auf der Bühne arbeiten. In Ramallah wurde ihr Stück "While Waiting" vom Publikum gefeiert. In Jenin haben sie es bisher erst einmal inszeniert. Die Reaktionen waren verhalten.

Noch wollen sie nicht nach Jenin zurück. Die Angst ist zu groß. Die Mörder von Juliano Mer Khamis sind noch nicht gefunden. "Weder die israelischen noch die palästinensischen Behörden suchen gezielt nach den Schuldigen. Stattdessen verhaften sie wahllos immer wieder Mitarbeiter des Theaters", sagt der Schauspieler Rabee Turkman. Vor wenigen Tagen holte die israelische Armee mitten in der Nacht seinen Kollegen Nabil Al-Raee aus seinem Haus und brachte ihn an einen unbekannten Ort. Weder sind die Vorwürfe gegen den künstlerischen Leiter des Freedom Theaters klar, noch, wann er frei kommen wird.

Stadtansicht Jenin
Die Stadt JeninBild: DW

Genau diese Willkür, das Warten auf die Freiheit, die nicht kommt, hat die Schauspieler aus Jenin zu ihrem Stück inspiriert, das sie nun in Berlin aufführen.

Kultur auf Augenhöhe

Der Andrang des Hauptstadt-Publikums ist so groß, dass die Stühle knapp werden. Etwa 30 Besucher sitzen deshalb auf dem Boden am Bühnenrand. Der bekannte Stand-up Comedian Adi Khalifa begrüßt sie auf Deutsch: "Wenn ich nach Berlin will, buche ich fünf Tage in der Stadt und drei am Flughafen. So lange kontrollieren mich die Israelis." Khalifa, Palästinenser aus dem israelischen Nazareth, ist in der Kompanie der Joker. Er muss einspringen, wenn ein Schauspieler mal wieder nicht ausreisen darf. "Israel hat mit Theater mehr Probleme, als wenn wir Steine werfen würden", sagt Khalifa. "Gegen Steine können sie kämpfen, aber wenn Palästinenser kulturell auf Augenhöhe sind, bekommen sie Angst."

In Berlin jubelt das Publikum besonders für Milay, die elfjährige Tochter von Mer Khamis, die in "While Waiting" den namenlosen Jungen spielt. "Wir wollen nicht als Schauspieler berühmt werden", sagen alle in der Kompanie. Wir haben nur eine Botschaft: "Wir sind keine Terroristen. Wir wollen nicht, dass unsere Kultur zerstört wird. Und wir wollen sein wie ihr. Wir wollen Menschen sein."