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Freisprüche im Cap-Anamur-Prozess

7. Oktober 2009

Wegen der Rettung von Flüchtlingen aus Afrika standen drei Cap-Anamur-Mitarbeiter in Italien vor Gericht. Der Vorwurf der Staatsanwälte: Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Die Richter sahen dies offensichtlich anders.

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Das Schiff 'Cap Anamur II' der Hilfsorganisation (Foto: AP)
Die Rettungsaktion der 'Cap Anamur II' hat FolgenBild: AP

Nach einem fast dreijährigen Prozess sprach das Gericht im sizilianischen Agrigent am Mittwoch (07.10.2009) nicht nur den früheren Vorsitzenden der Hilfsorganisation Cap Anamur, Elias Bierdel, frei. Auch der Kapitän des Schiffes "Cap Anamur", Stefan Schmidt, und der Erste Offizier, der Russe Wladimir Dschkewitsch, verließen den Gerichtssaal als freie Männer. Die drei hatten im Juni 2004 vor der italienischen Küste 37 afrikanische Flüchtlinge aus Seenot gerettet und nach Sizilien gebracht.

Die Anklage hatte argumentiert, die Flüchtlinge hätten nach Malta gebracht werden müssen, da sie in dessen Hoheitsgewässern gerettet worden seien. Die italienische Staatsanwaltschaft forderte daher je vier Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 400.000 Euro für Bierdel und Schmidt. Bei Dschkewitsch allerdings hatte auch sie seit einiger Zeit auf Freispruch plädiert.

Elias Bierdel (links), Stefan Schmidt (Mitte) und der Erste Offizier des Schiffes, Wladimir Dschkewitsch (Foto: dpa)
Die Angeklagten: Ex-Cap-Anamur-Chef Bierdel, Kapitän Schmidt und Offizier Dschkewitsch (v.l.)Bild: picture-alliance/ dpa

Im Gerichtssaal anwesende Vertreter von Hilfsorganisationen reagierten mit Jubel auf das Urteil. Bierdel und Schmidt zeigten sich glücklich über den Ausgang des Prozesses. Bierdel, der einen Schuldspruch aus "politischen" Gründen befürchtet hatte, sagte, der Freispruch sei eine "echte Sensation". Schmidt erklärte: "Dieses Urteil ist wichtig für alle, die Gutes tun!"

Auch der Gründer von Cap Anamur, Rupert Neudeck, begrüßte den Richterspruch. Er habe mit einem Freispruch gerechnet. Alles andere wäre eine "Katastrophe für das europäische Justizsystem" gewesen. Mit dem jetzt ergangenen Urteil seien gute Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das "uralte Menschenrecht" auf Rettung in Seenot Geratener in Europa beachtet werden müsse, so Neudeck weiter.

Die Internationale Liga für Menschenrechte will Kapitän Schmidt am 13. Dezember in Berlin die Carl-von-Ossietzky-Medaille verleihen. Zur Begründung hieß es, die Rettungsaktion sei ein herausragender Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte an den Grenzen der Europäischen Union gewesen.

Dreiwöchiges Tauziehen vor Italiens Küste

Die umstrittene Rettung hatte weltweit Schlagzeilen gemacht. Die "Cap Anamur II" war im Juni 2004 mit Hilfsgütern beladen auf dem Weg in den Irak, als die Mannschaft zwischen Libyen und der südlich von Sizilien gelegenen Insel Lampedusa die Bootsflüchtlinge entdeckte. Die "Cap Anamur II" nahm 37 Afrikaner aus dem überfüllten Schlauchboot, das zu sinken drohte, an Bord. Der Kapitän steuerte die sizilianische Küste an, weil der Hafen von Lampedusa nach seiner Auffassung zu klein für die Ausmaße der "Cap Anamur II" schien.

Die 37 afrikanischen Bootflüchtlinge warten auf der 'Cap Anamur II' in Porto Empedocle (Foto: AP)
Drei Wochen saßen die Flüchtlinge 2004 auf der 'Cap Anamur II' festBild: picture-alliance/ dpa

Die italienischen Behörden verweigerten dem Schiff jedoch die Genehmigung, sich der Küste zu nähern, mit der Begründung, die Flüchtlinge seien in maltesischen Gewässern aufgegriffen worden. Sie vertraten den Standpunkt, die Afrikaner hätten in Valetta von Bord gehen und gegebenenfalls dort Asylanträge stellen sollen. Erst nach einem dreiwöchigen Tauziehen ließ Italien die "Cap Anamur II" in den Hafen von Empedocle einfahren. Die an Bord befindlichen Flüchtlinge kamen in Abschiebehaft. Bierdel, Schmidt und Daschkewitz wurden unter dem Verdacht der Schlepperei verhaftet, später aber wieder auf freien Fuß gesetzt.

Kritik an medienwirksamer Inszenierung

Italienische Polizisten am Hafen von Empedocle schauen die 'Cap Anamur II' an (Foto: AP)
Tauziehen um 'Cap Anamur II'Bild: AP

Die italienische Staatsanwaltschaft sah es als erschwerenden Umstand an, dass die Aktion als Werbung für Cap Anamur gedient habe und als Medienspektakel inszeniert worden sei. Der damalige Innenminister Italiens, Giuseppe Pisanu, erklärte, Bierdel habe versucht, "das internationale Einwanderungsrecht zu brechen". Er habe einen Präzedenzfall schaffen wollen, "der den Transport illegaler Einwanderer nach Europa erleichtert". Auch in der deutschen Öffentlichkeit gab es Vorwürfe wegen einer allzu medienwirksamen Inszenierung der Rettungsaktion, wie es hieß. Kritik wurde etwa daran geübt, dass die Flüchtlinge mit Cap-Anamur-T-Shirts bekleidet in Porto Empedocle von Bord gegangen seien.

Bierdel und Schmidt, die bei dem Prozess in Italien nur zeitweise anwesend waren, wiesen sämtliche gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück. "Die italienische Staatsanwaltschaft versucht, uns nachzuweisen, bewusst im eigenen Interesse gehandelt zu haben. Als hätten wir an der Rettung verdient. Das ist absurd", sagte Bierdel. Sein Handeln war indessen auch innerhalb seiner Organisation nicht unumstritten. Selbst Cap-Anamur-Gründer Neudeck hatte das Verhalten seines Nachfolgers an der Spitze der Hilfsorganisation offen kritisiert. Im Oktober 2004 wurde Bierdel als Vorsitzender abgewählt.

Flüchtlinge nach Ghana abgeschoben

Rupert Neudeck (Foto: dpa)
Rupert Neudeck gründete Cap Anamur vor 30 JahrenBild: picture-alliance/dpa

Die bei der umstrittenen Aktion geretteten Flüchtlinge wurden, bis auf einen, der bei seiner Ankunft in Italien noch minderjährig war, einen Monat später nach Ghana abgeschoben. Ihre Asylanträge waren in erster Instanz abgelehnt worden. Die "Cap Anamur II" lag mehrere Jahre beschlagnahmt im Hafen von Porto Empedocle. Später wurde sie von der Hilfsorganisation mit Gewinn verkauft.

Das Hilfswerk Cap Anamur wurde vor 30 Jahren von Neudeck in Köln gegründet. Zu internationaler Bekanntheit gelangte sie in den 80er Jahren durch die Rettung tausender Vietnam-Flüchtlinge im Südchinesischen Meer. Auch humanitäre Einsätze in Somalia, Mazedonien oder Äthiopien trugen der Organisation viel Lob ein.

Autoren: Ursula Kissel / Stephan Stickelmann (dpa/epd/kna/afp)
Redaktion: Oliver Samson

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