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Die Kölner und ihr Stadtarchiv

7. Mai 2009

Als am 3. März 2009 das Stadtarchiv in Köln einstürzte, versanken Tonnen wertvoller Dokumente in den Trümmern. Seitdem versuchen Archivare und ehrenamtliche Helfer verzweifelt, die geborgenen Schätze zu säubern.

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Geborgene DokumenteBild: Suzanne Cords

Es ist 6.50 Uhr. Wie jeden Tag um diese Zeit ist Andreas Vries gerade zur Frühschicht als ehrenamtlicher Helfer angetreten. Er wuchtet die erste Kiste auf seinen Arbeitstisch, packt ein paar arg zerfetzte Notenblätter aus und streift vorsichtig mit dem Handfeger über die Seiten. Ein paar Meter weiter steht die Hausfrau Iris Pauli, die gerade ein verschimmeltes Buch aus dem Karton zieht und es für die Grobreinigung vorsichtig abklopft. "Es ist schon sehr staubig", sagt sie. "Es kommen einem auch mal Steine und große Brocken Mörtel entgegen, aber hauptsächlich Staub."

Das Gedächtnis der Stadt versinkt im Staub


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Helfer im EinsatzBild: Suzanne Cords

Zum Schutz vor dem allergröbsten Dreck stecken die Helfer in weißen Schutzanzügen, tragen Atemmasken und Gummihandschuhe. Die Arbeit ist anstrengend, doch keiner der Helfer murrt. Jeden Moment ist ihnen bewusst, dass sie nicht irgendwelche beliebigen Dokumente reinigen, sondern das papierne Gedächtnis einer ganzen Stadt zu retten versuchen. Jeder Karton birgt eine neue Überraschung: Fotos, Akten vergangener Jahrhunderte oder gar handschriftliche Dokumente. "Ich hab schon Briefe mit Siegel aus dem 16. Jahrhundert in den Fingern gehabt", bestätigt der Priester Johannes Krautkrämer, der einmal die Woche als Freiwilliger hier arbeitet. "Es gibt hochinteressante Sachen, auf die man mal einen flüchtigen Blick drauf werfen kann, aber auch viel langweiliges Zeug, zum Beispiel Berge von Akten."

"Das Herz hat aufgehört zu bluten"

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Zerrissene Bücher werden sorgfältig verpacktBild: Suzanne Cords

Das Wort "langweilig" kennt ein Archivar nicht. Jedes Fundstück wird mit gleicher Sorgfalt behandelt, kein Fetzen Papier mit einem Buchstaben darauf darf weggeworfen werden, so lautet die Anweisung der Restauratoren. Vorkenntnisse brauchen die Ehrenamtlichen nicht; was sie wissen müssen, erfahren sie in einer kurzen Einweisung vor Ort. Christina Hoffrath freut sich über jedes gut erhaltene Stück, das sie aus den Kartons angelt – auch wenn sich die Bibliothekarin mittlerweile an den Anblick zerstörter Bücher gewöhnt hat: "Na ja, das Herz hat jetzt aufgehört zu bluten, aber es ist natürlich immer noch ein Schock und wenn ich das jetzt hier sehe, dann frage ich mich natürlich, wann wird das wohl alles mal wieder nutzbar sein."

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Fragmente einer alten HandschriftBild: Suzanne Cords

Zweimal am Tag, frühmorgens und zum Schichtwechsel am Nachmittag, bringt ein Shuttlebus zwischen 100 und 140 Helfer zu einer Lagerhalle am Stadtrand Kölns. Bürger aus dem vom Einsturz betroffenen Stadtviertel, Arbeitslose, Studenten, Hausfrauen und Archivare, sie alle wollen helfen. "Ich bin unendlich traurig, dass das Kölner Stadtarchiv zerstört wurde. Ich hab montags frei und bin froh, dass ich so meine freien Tage dem Stadtarchiv schenken darf", sagt Krautkrämmer und Christina Hoffrath meint: "Ich arbeite für die Universitäts- und Stadtbibliothek und hab für diese Woche Sonderurlaub bekommen, um hier zu helfen. Wir wollen natürlich auch unseren Beitrag leisten."

Vorsichtiger Optimismus bei den Restauratoren

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Gut erhaltene Urkunde mit SiegelBild: Suzanne Cords

Einige Ehrenamtliche sind über die private Bürgerinitiative "Wir retten unser Stadtarchiv" hier gelandet, andere über die Zeitung oder durch persönliche Vorsprache bei der Stadt. Restauratorin Rebecca Thalmann koordiniert die Arbeit und ist begeistert von der Hilfsbereitschaft der Kölner Bürger, aber auch der vielen Helfer aus anderen Städten. Sie wirft einen Blick auf die unzähligen Wannen mit vorsortierten Dokumenten, die auf den Trocknungsprozess warten. "Klar wird mir das Herz schwer, wenn ich das alles hier sehe", sagt die junge Frau, "andererseits haben wir in den letzten Wochen sehr viel geschafft und das motiviert." Immerhin 24 Regalkilometer konnten schon geborgen werden, darunter viele alte Handschriften und Urkunden. Das getrocknete Material wird in andere Archive abtransportiert und zwischengelagert, bis es später genau erfasst und restauriert wird. Trotzdem zeigt sich Rebecca Thalmann vorsichtig optimistisch. "Die ersten Befürchtungen, die da waren, das ganze Archiv ist weg, haben sich relativ schnell zerstreut. Wir haben sehr schnell gemerkt, wir können namhafte Teile des Archivs in einigermaßen gutem Zustand bergen und das gibt eigentlich eine ganz gute Zukunftsperspektive." Doch bis dahin, so die Prognose, werden mindestens 30 Jahre vergehen.

Autorin: Suzanne Cords

Redaktion: Conny Paul