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Freizügigkeit ist relativ

Rupert Wiederwald6. Februar 2004

Der Superbowl-Auftritt von Janet Jackson und Justin Timberlake beschäftigt die USA: Denn Sex ist immer noch das Tabuthema für die amerikanischen Medien. Und damit aber auch ein Garant für hohe Einschaltquoten.

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Michael Powell hatte es sich mit seiner Familie vor dem Fernseher gemütlich gemacht. Cola für die Kinder, vielleicht ein oder zwei Bier für die Eltern und Popcorn für alle: Familie Powell war bereit, dem All-American Event Superbowl zu folgen. Bis zur Halbzeit war die Familie im Glück, doch schon die zweite Hälfte des Spiels war leider nicht mehr zu genießen. Nicht das Spiel war schuld, sondern das Rahmenprogramm. Und was Michael Powell dort sah, hat ihm gar nicht gefallen.

Man sieht zu viel

Nach diversen Werbeblocks für Erektionsmittel wie Livitra und Cialis sowie ausdauernden Bieranpreisungen riss Justin Timberlake doch tatsächlich Janet Jacksons Bustier auf – vor den Augen von Michael Powells Kindern. Powell ist nicht nur der Sohn des US-Außenministers, er ist auch Chef der amerikanischen Medienaufsichtsbehörde FCC. Und als dieser zeigt Michael Powell nun, was er von einer nackten Brust im frei empfangbaren Fernsehen hält: nämlich gar nichts. Das ist zum einen seine Aufgabe, und zum anderen bewusstes Kalkül, denn die FCC wurde in letzter Zeit heftig kritisiert. Sie sei zu lasch im Umgang mit den Verstößen gegen die guten Sitten, so werfen ihr die Kritiker vor.

Piiiiiep!

Der Superbowl ist ein guter Moment für Powell, um das Gegenteil zu beweisen. Zusammen mit vielen anderen Personen des öffentlichen Lebens gehört er zum Chor der von Berufs wegen Empörten, der seit einer Woche die amerikanischen Medien beschallt. Die nackte Brust wird immer wieder gezeigt, auf allen Kanälen. Inzwischen wird sie jugendfrei verwischt, schließlich sind die USA ein ordentliches und moralisches Land, und deshalb kann man sich auch so wunderbar darüber aufregen. Alles Sexuelle ist in den USA unter einen Bann gestellt. Gewisse Wörter werden mit einem Piepton belegt. Das kann auch mal zur absoluten Unkenntlichkeit des restlichen Satzes führen, denn Amerikaner benutzen "bad language" eigentlich ganz gerne. Sie mögen es nur nicht, wenn es im Fernsehen oder Radio geschieht. Fluchen ist halt bei Strafe verboten.

Sex macht Quote

Dem Kongress wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt, in dem der Gebrauch von gewissen Wörtern mit empfindlichen Strafen bedroht wird. Darunter die durchaus gängigen und in jeder U-Bahn häufiger zu hörenden Slangbegriffe "shit","fuck" oder "piss". Damit solle der "ausufernden Sittenlosigkeit" Einhalt geboten werden, heißt es in der Vorlage. Nackte Haut darf im Fernsehen nicht gezeigt werden, jedenfalls nicht im frei empfangbaren Programm. Im Pay-TV sieht das natürlich schon wieder ganz anders aus. Parallel zum normalen Superbowlevent konnte zum Beispiel ein alternatives Lingerie-Bowl abonniert werden. Hier trugen die Teilnehmerinnen lediglich Spitzenunterwäsche, und das die auch mal verrutscht, liegt in der Natur des Spieles Football. Mehr Klicks als der 11. September. Profitiert haben von der Diskussion bislang alle Beteiligten: Den TV-Sender bescherte der Skandal schöne Quoten, dem sexuell enthemmten Justin Timberlake werden jetzt schon traumhafte Verkäufe seiner neuen CD vorausgesagt und das TV-Publikum kann seinen Voyeurismus befriedigen.

Sex ist nicht alles

Dass das Interesse am Sex ungebrochen ist, beweist auch ein Blick ins Internet: Die Suchmaschinen von Terra Lycos und Yahoo geben an, dass die entblößte Superbowl-Brust mehr Anfragen nach sich gezogen hätte als der 11. September 2001. Nur Janet Jackson scheint als einzige keinen unmittelbaren Profit davontragen zu können. Ursprünglich war sie fest eingeplant als eine Co-Moderatorin für die Grammies, dem nächsten Mega-TV Ereignis in den USA. Davon ist inzwischen keine Rede mehr. Übrigens genauso wenig von den Gewinnern des Superbowls – nur zur Erinnerung: Es gewannen die New England Patriots.