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Fremde werden Freunde

21. Dezember 2009

Weihnachtszeit in einer Deutschen Familie? Für viele ausländische Studierende ist das ein besonderes Erlebnis. Das Projekt "Fremde werden Freunde" aus Erfurt vermittelt Paten, und das nicht nur für die Festtage.

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Fremde werden Freunde: Roshaan Wolusmal mit seinem Paten Helmut Lettau
Roshaan Wolusmal mit seinem Paten Helmut LettauBild: Ronny Arnold

Der 1. Dezember 2008 war für Roshaan Wolusmal ein ganz besonderer Tag. So ziemlich alles fühlte sich plötzlich anders an, als er seine Heimatstadt Kandahar im Süden Afghanistans verlassen hatte und im 5000 Kilometer entfernten Thüringen ein kleines Zimmer auf dem Campus der Erfurter Uni bezog. Bitter kalt war es damals, erinnert sich der 30-jährige Public Policy-Student, und er kannte keine Menschenseele. Schon kurz nach seiner Ankunft startete er dann zur ersten Erkundungstour durch die Stadt, und dieser Ausflug ins Zentrum der Thüringer Landeshauptstadt war "äußerst erstaunlich". Rund um den imposanten Dom standen kleine Holzhütten, festlich geschmückt mit allerlei Tannengrün. Alles duftete interessant, aber ungewöhnlich, nach Bratwurst, Glühwein und warmem Sauerkraut. Solch einen christlichen Weihnachtsmarkt hatte der Student aus dem muslimischen Afghanistan bis dahin noch nie gesehen. "Die Erfurter Innenstadt sah wunderschön aus, mit all den Weihnachtsbäumen und den Lichtern", erinnert sich Roshaan Wolusmal. Überall waren unzählige Menschen unterwegs, Kinder mit ihren Eltern, alle kauften Geschenke ein. "Alles war so neu für mich."

Orientierung, Sicherheit und ein paar Euro

Fremde werden Freunde: Roshaan Wolusmal mit seinem Paten Helmut Lettau
Roshaan Wolusmal feiert zum zweiten Mal Weihnachten in DeutschlandBild: Roshaan Wolusmal

Weihnachten kannte Roshaan Wolusmal bis vor einem Jahr nur aus Erzählungen. Mittlerweile weiß er eine Menge über das christliche Fest, das Shoppingverhalten von Großstädtern kurz vor dem 24. Dezember und ziemlich viel über traditionelle Weihnachtsbräuche einer deutschen Großfamilie. Zu verdanken hat er das aber weniger seinem Studium an der Willy Brandt School of Public Policy, sondern vor allem Helmut Lettau, der eine Patenschaft für den jungen Afghanen übernommen hat. Kennen gelernt haben sich die Beiden vor einem Jahr, in der Vorweihnachtszeit, bei einem der zahlreichen Ausflüge des Projekts "Fremde werden Freunde". Helmut Lettau ist das erste Mal Pate, vom Projekt hatte er damals in der Zeitung gelesen. "Ich habe Zeit und kann etwas geben, Roshaan helfen, sich in der deutschen Gesellschaft zu orientieren", sagt er. "Ich kann ihm auch ein bisschen materiell beistehen und ihm etwas Sicherheit geben, falls er mal Probleme hat."

Ersatzfamilie auf Zeit

Probleme hat Roshaan Wolusmal, dank Helmut Lettau, relativ wenige, obwohl in Deutschland alles ganz anders ist als in Afghanistan. In seiner Heimat herrscht bittere Armut und ein seit Jahren andauernder Krieg, der einfach nicht enden will. In Erfurt kann man das Wasser aus dem Wasserhahn trinken, die Infrastruktur ist intakt und an der Uni ist alles gut organisiert. Roshaan Wolusmal gefällt es in Deutschland, trotzdem vermisst er manchmal seine afghanische Heimat, gerade jetzt über die Weihnachtsfeiertage, weil viele Kommilitonen nach Hause zu ihren Familien fahren. Doch Roshaan Wolusmal hat jetzt wenigstens eine Ersatzfamilie auf Zeit, und wie schon im letzten Jahr wird er auch diesmal einen Weihnachtstag mit seinem Paten verbringen. Damals, im Dezember 2008, kannten sie sich gerade erst ein paar Tage, als Helmut Lettau ihn spontan über die Feiertage zu sich einlud. "Er hat mich sogar mit dem Auto hier an der Uni abgeholt und dann sind wir zu ihm nach Hause gefahren", erinnert sich Roshaan. "Dort gab es ein sehr gutes Essen und danach war es sehr gemütlich mit seiner Frau, dem Sohn und seiner Tochter." Ein sehr glücklicher Tag sei das für ihn gewesen, so der afghanische Student, und er freue sich schon auf die Feiertage in diesem Jahr. Eine Einladung hat er bereits bekommen.

Kontakte zu Thüringer Unternehmen

Fremde werden Freunde (in der Mitte Projektleiterin Petra Eweleit)
Aktiv für Demokratie und Toleranz - Fremde werden Freunde (in der Mitte Projektleiterin Petra Eweleit)Bild: Petra Eweleit

Ähnlich wie Helmut Lettau kümmern sich in Erfurt derzeit 200 Paten um ausländische Studierende aus über 40 Nationen. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern während des gesamten Jahres, erklärt Petra Eweleit, die Projektleiterin von "Fremde werden Freunde". Seit 2002 gibt es die Initiative, beteiligt sind neben Uni und Fachhochschule auch die Stadt und das Institut für Weiterbildung – und natürlich jede Menge weltoffene Erfurter. Kulturtipps, Ausflüge, praktische Alltagshilfe, Theater- und Kinobesuche sowie Familienfeiern, das Programm der Paten kennt keine Grenzen. Das Projekt hat mittlerweile auch noch ein weiteres Ziel, so Petra Eweleit: "Wir helfen unseren ausländischen Studierenden auch, wenn sie Kontakte zu Thüringer Unternehmen brauchen: Minijob, Praktikum, und so weiter."

Weihnachten, Zeit der Geschenke

Ob Roshaan Wolusmal in Deutschland bleiben oder lieber nach Afghanistan zurück kehren will, weiß er im Moment noch nicht. Zwei Jahre Studium liegen noch vor ihm, eine lange Zeit, in der er sich auch immer wieder mit Helmut Lettau treffen will. Jetzt kommt aber erst einmal die besinnliche Weihnachtszeit. Einen Besuch im Erfurter Dom hat Roshaan schon fest eingeplant und natürlich die feierlichen Stunden mit seiner Patenfamilie. Auf eine weihnachtliche Tradition, die er aus dem letzten Jahr kennt, freut sich der junge Afghane schon ganz besonders. Denn im letzten Jahr hat er von Helmut Lettau ein wunderschönes Geschenk bekommen. "Es war ein Kalender, ein Tagebuch, in dem ich alle meine Gedanken und Erinnerungen über Deutschland aufgeschrieben habe. Das benutze ich bis heute." So ein schönes Geschenk erhofft sich Roshaan Wolusmal auch in diesem Jahr. Doch ob das klappt, erfährt er natürlich erst zum Weihnachtsfest.


Autor: Ronny Arnold
Redaktion: Gaby Reucher