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Fremdsprachenkenntnisse Voraussetzung für Ministerposten

13. Mai 2003

- Interview mit dem Politologen András Bozóki zur Kabinettsumbildung in Ungarn

https://p.dw.com/p/3dAi

Budapest, 12.5.2003, BUDAPESTER ZEITUNG, deutsch, Dénes Vajta

Premier Péter Medgyessy will mit seiner Parole von Republik und Kindern dem Motto Orbáns über Nation und Familie etwas bewusst entgegensetzen". Diesen Hintergrund sieht der Politologie-Professor András Bozóki von der Central European University hinter der angekündigten großen Regierungsumbildung. BZ-Mitarbeiter Dénes Vajta befragte ihn zu weiteren Motiven.

Frage:

Warum ist die Kabinettsumbildung erfolgt? Immerhin ist die Regierung beliebt wie kaum eine vor ihr.

Antwort:

Péter Medgyessy wollte nicht abwarten, bis die Dinge einen ungünstigeren Verlauf nehmen. Die Verjüngung der Minister und vor allem die Auswahl solcher, die fähig sind, die EU-Quellen anzuzapfen, dürften ausschlaggebend gewesen sein. Dazu waren Leute notwendig, die auch Fremdsprachen können und sich in der heutigen Welt gut auskennen. Es wäre katastrophal, wenn wir in der EU wegen unserer eigenen Fehler zu Nettozahlern würden.

Frage:

Und diese Kriterien treffen auf die neuen Kabinettsmitglieder zu?

Antwort:

Mária Kóródi besitzt keine Fremdsprachenkenntnisse, während ihr Nachfolger Miklós Persányi jahrelang bei einer internationalen Organisation in London gearbeitet hat. Auch Ferenc Gyurcsány bewegt sich besser auf dem internationalen Parkett als György Jánosi. Es ist auch bekannt, dass Jánosi kein Medgyessy-Anhänger ist - der Premier wollte seine Position stärken. Jánosi wird sich wahrscheinlich in die Defensive begeben, was zu Konflikten führen könnte. Bei Gábor Görgey war es klar, dass er nicht die Legislaturperiode ausfüllen wird, das hatte er bei seinem Amtsantritt bekannt gegeben. Endre Juhász wurde schon im Februar ernannt.

Frage:

Trifft es zu, dass Medgyessy, wie behauptet wird, nicht entscheidungsfähig ist, sondern die Dinge einfach geschehen lässt?

Antwort:

Nein, das stimmt nicht. Bei seinem Amtsantritt sagten Kritiker, dass auf den dynamischen Orbán ein lascher Medgyessy folge. Dies entspricht aber nicht der Realität. Das hat Medgyessy nicht nur jetzt bewiesen, sondern schon früher beim Abgang von Elemér Kiss oder bei der Umorganisierung des Kanzleramts. Er ist sehr wohl fähig, Entwicklungen zu beschleunigen und einzuleiten. Medgyessy nimmt die sozialdemokratische Ethik und das sozialdemokratische Modell überhaupt sehr ernst, was vom früheren sozialistischen Regierungschef Gyula Horn nicht behauptet werden kann.

Frage:

Kritiker meinen, dass bei dieser Regierungsumbildung das SZDSZ (Bund Freier Demokraten – MD) verloren hat, während Medgyessy gestärkt wurde. Ist das so richtig?

Antwort:

Es ist noch zu früh, um von Gewinnern und Verlierern zu sprechen. Es sieht in der Tat so aus, dass das SZDSZ Positionen verloren hat, denn auch Katalin Lévai steht den Sozialisten näher als den Freidemokraten, obwohl die Medien berichteten, dass sie von der MSZP (Ungarische Sozialistische Partei – MD) und vom SZDSZ gemeinsam nominiert wurde. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Angleichung der zwei Regierungsparteien, die vielleicht einmal zu einer Verschmelzung führen wird.

Frage:

Viktor Orbán hat das Gewicht des Kanzleramtes gegenüber den Ministerien verstärkt. Wird sich das unter Medgyessy ändern?

Antwort:

Da hat sich bereits viel verändert. Natürlich wurde das Kanzleramt nach dem Regierungsbeginn als Melkkuh von vielen Sozialisten missbraucht, aber Medgyessy hat viel getan, um die Günstlingswirtschaft zurückzudrängen. Die Trennung von Ferenc Baja und Sándor Nagy beweist das. Allerdings ist ihm dies mit Imre Szekeres nicht gelungen. Die Anzahl der Mitarbeiter des Kanzleramts wird ja gerade wieder reduziert, da der Wasserkopf explodiert war. Dass die Minister wieder mehr Bedeutung und Einfluss haben, ist richtig und ein rationaler Vorgang.

Frage:

Gibt es einen Kampf zwischen verschiedenen Flügeln in der MSZP, zwischen Medgyessy und László Kovács?

Antwort:

Dies ist der falsche Rahmen, um die Regierungsbildung zu beurteilen. Gyurcsány ist sicher ein Mann Medgyessys, aber deswegen noch nicht gegen Kovács. Gyurcsány wollte ja auch aus dem Schatten Medgyessys heraustreten und sich beweisen. Gleichzeitig ist sein Vorhaben, als Jugend- und Sportminister die Jugend der Regierung näher zu bringen, im Einklang mit dem Wunsch Medgyessys, die Kinder, vor allem die benachteiligten, zu fördern, weil sie die Zukunft des Landes seien. Damit versucht Medgyessy den Parolen von Orbán von Nation und Familie etwas entgegen zu setzen wie Republik und Kinder.

Frage:

Gibt er sich nicht eine zu große Angriffsfläche durch die Ernennung des Milliardärs Ferenc Gyurcsány zum Minister?

Antwort: Die Opposition wird sicher die Gelegenheit nutzen und ständig Gyurcsány kritisieren. Es ist aber auch eine einmalige Gelegenheit, eine Veränderung der Werte zu erleben, wenn Gyurcsány sich um seine Aufgabe und nicht um seinen Profit kümmert. Bis jetzt galten alle Politiker nach der Wende als korrupt, weil sie in der Politik nicht nur eine Aufgabe, sondern auch eine Quelle der Bereicherung sahen.

Frage:

Ist Medgyessys Ankündigung glaubhaft, dass er keine Regierungsumbildung mehr vornehmen wird? Wäre er dennoch dazu gezwungen, würde das nicht einen

Prestigeverlust bedeuten?

Antwort:

Er hat gesagt, dass dieses Kabinett bis zu den Wahlen bleibt. Er sagte nicht, bis zu welchen Wahlen. Jeder nimmt damit die Parlamentswahlen von 2006 an, aber es gibt ja auch noch die Europawahlen 2004. (fp)