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"Deutsche wollen mehr diplomatisches Engagement"

Christoph Hasselbach16. März 2015

Laut einer Umfrage ist jeder zweite Deutsche für eine Erhöhung des Wehretats. Das heiße aber nicht, dass eine Mehrheit mehr militärische Aktivitäten wolle, sagt der Friedensforscher Bernhard Moltmann im DW-Interview.

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Bundeswehr-Soldat mit Gewehr Foto: picture-alliance/W. Minich
Bild: picture-alliance/W. Minich

Deutsche Welle: Herr Moltmann, nach der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov ist jeder zweite Deutsche für höhere Wehrausgaben, immerhin 40 Prozent wollen die Bundeswehr auch personell aufstocken. Überrascht Sie dieses Ergebnis?

Bernhard Moltmann: Nein, das ist Teil einer Auseinandersetzung, die seit der Wiederbewaffnung und seit der Wiedervereinigung geführt wird: Wie viele Soldaten braucht man wofür, wofür wird das Geld im Verteidigungssektor ausgegeben, wer profitiert davon? Das ist ein Streit, der in jede Demokratie hineingehört, und je offener er geführt wird, desto besser. Insofern werte ich diese Zahlen, die im Zusammenhang mit dem Anliegen des Bundeswehrverbandes nach Aufstockung des Rüstungs- und Wehretats stehen, als ein Teil einer Auseinandersetzung, die einer Demokratie gut ansteht.

Sind die Erfahrungen mit Russland und der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) so einschneidend, dass die Deutschen umdenken und ihren Pazifismus aufgeben?

Alarmismus ist in solchen Situationen der schlechteste Ratgeber. Ich denke, dass die Krisen dann eine verhängnisvolle Wirkung erzeugen, wenn sie Angst erzeugen, also das diffuse Gefühl, Risiken gegenüberzustehen, die nicht beherrschbar erscheinen. Ukraine und IS haben solche Potenziale, weil keiner wirklich einschätzen kann, was davon tatsächlich als Gefahr auf uns zukommt und was Teil einer politischen Agenda ist, die wir nicht kennen. Meine Empfehlung wäre noch mehr Aufklärung über die tatsächlichen Gefahren.

Glauben Sie, dass wir hier das Ende eines spezifisch deutschen Pazifismus erleben?

Einen richtigen Pazifismus, also einen vollkommenen Verzicht auf Waffen und Gewalt, hat es in der deutschen Bevölkerung nie gegeben. Was sich allerdings durchgesetzt hat, und das ist ein langfristiger Konsens, das würde ich als Verantwortungspazifismus bezeichnen. Das heißt, die Menschen fordern, wenn über Gewaltmittel gesprochen wird und wenn sie eingesetzt werden, dass Verantwortlichkeit übernommen wird, und zwar sowohl über die Bedingungen, die dazu führen, als auch für die Folgen, die diese Gewalteinsätze haben. Und sie verlangen nach einem rechtlichen Rahmen, in dem das stattfindet. Das ist ein Grundkonsens, der auch durch diesen Alarmismus nicht infrage gestellt werden sollte.

Bernhard Moltmann Foto: HSFK
Bernhard Moltmann: Aufklärung gegen AlarmismusBild: HSFK

Hat das Umfrageergebnis auch etwas mit einem neuen Selbstbild der Deutschen zu tun, mit dem Gefühl, mehr militärische Verantwortung übernehmen zu sollen, vielleicht auch mit Stolz über den wirtschaftlichen Erfolg des Landes oder sogar mit Nationalismus?

Ich sehe nicht, dass in der deutschen Bevölkerung oder der deutschen Politik der Ruf nach mehr Übernahme militärischer Verantwortung laut wird. Da gibt es seriöse Umfragen gerade aus dem letzten Jahr, wonach eine große Mehrheit der Menschen nicht mehr militärische Aktivitäten wollen, gerade auch im Blick auf den zuendegehenden Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Gleichwohl treten die Menschen ein für stärkeres diplomatisches Engagement. Sie treten ein für stärkere humanitäre Hilfe. Das sind alles Zeichen für einen zivilisatorischen Ansatz der deutschen Politik. Und Verantwortung heißt dann, in diesem Bereich markant und deutlich erkennbar zu werden.

Beunruhigt Sie die neue Selbstverständlichkeit, mit der mindestens die Politik heute mit dem Militärischen umgeht?

Ich sehe diese Unbefangenheit nicht so deutlich, sondern beobachte eigentlich gerade bei denjenigen, die für die Außenpolitik und die Verteidigungspolitik zuständig sind, eine skrupulöse Wahl von Worten und Begründungen, wenn militärische Fragen ins Spiel kommen. Gerade Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist mit der Umorganisation des Auswärtigen Amtes hier einen weiten Schritt nach vorn gegangen, um der Krisenprävention, der zivilen Krisensteuerung, der Friedenskonsolidierung neuen Vorrang einzuräumen. Und ich denke auch, dass Verteidigungsministerin von der Leyen im neuen Weißbuch einen ähnlichen Kurs befolgen wird.

Bernhard Moltmann ist Gastforscher bei der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung.

Das Interview führte Christoph Hasselbach.