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Rechte Gewalt im Fußball

10. Dezember 2009

Neonazis tragen immer öfter Gewalt in und rund um die Leipziger Fußballstadien. Die Betroffenen wehren sich. Doch Behörden und Vereine reagieren hilflos. Niemand will zuständig sein.

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Gewalt auf dem Fußballplatz - Aufnahme beim Überfall in Brandis im Oktober 2009 (Foto: Oberliga-Süd)
Gewalt auf dem Fußballplatz - Aufnahme beim Überfall in Brandis im Oktober 2009Bild: Oberliga-Süd

Am 24. Oktober 2009 kam es in Brandis bei Leipzig bei einem Fußballspiel der Bezirksliga zu unglaublichen Szenen: Zwei Minuten nach Anpfiff des Spiels FSV Brandis gegen Roter Stern Leipzig stürmte eine Horde von 50 Nazis den Platz und attackierte die Anhänger der Gastmannschaft mit Latten, Eisenstangen und Steinen. Am Ende gab es drei schwerverletzte Fans, der Schock saß tief. Die deutschen Medien berichteten ausführlich über das Ereignis.

Der Überfall von Brandis: Die Rechten stehen bereit zum Angreifen (Foto: Oberliga-Süd)
Der Überfall von Brandis: Die Rechten stehen bereit zum AngreifenBild: Oberliga-Süd

Ein Einzelfall ist diese Attacke keineswegs. So wurde im Oktober ein Anhänger des BSG Chemie Leipzig mit einem Auto überfahren - Leipziger Nazis hatten den Konflikt mit den Chemie-Fans gesucht. Anfang des Jahres waren es ebenfalls Chemiker, die vor dem Besuch eines Hallenfußballturniers von 40 Vermummten überfallen und gejagt wurden. Dabei brüllten die Täter antisemitische Parolen.

Eine gewaltbereite Szene

Einer, der sich von Berufs wegen mit dieser Thematik befasst, ist Ricardo Schulz, Leiter einer Abteilung bei der Staatsanwaltschaft Leipzig, die sich mit Straftaten gegen den inneren Frieden beschäftigt. "Wir haben in den letzten Jahren eine zunehmende Gewalt insbesondere außerhalb der Stadien feststellen können. Das ist ein bundesweites Problem", so Schulz. "Und die Gewalt verlagert sich immer mehr in die niederen Spielklassen, die Brutalität ist größer geworden.“

Es fehlt in Leipzig nicht an gewalttätigen Nazis. Am auffälligsten wird rechtes Gedankengut von den "Freien Kräften Leipzig" (FKL) vertreten - ein mehr oder weniger loser Zusammenschluss von Freunden und Gleichgesinnten. Man achtet darauf, nicht als politische Organisation zu erscheinen und ein eventuelles Verbotsverfahren zu unterlaufen.

Seit November 2008 haben Rechtsradikale einen gemeinsamen Anlaufpunkt in Leipzig-Lindenau, hier wurde ein "NPD-Bürgerbüro" eröffnet. Nicht nur die NDP und ihre Jugendorganisation "Junge Nationalisten" treffen sich im Westen der Stadt, sondern auch viele FKL-Aktivisten sowie die nationalistisch und rechtsextrem ausgerichtete Hooligangruppe "Blue Caps", die inzwischen ein Stadienverbot hat, gehen dort ein und aus.

Kein neues Problem

Fußball in Leipzig war durch die Rivalität der Traditionsvereine Lok Leipzig und Chemie Leipzig noch nie besonders friedlich. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Fanlagern ist fester Bestandteil der Fußballlandschaft. An diese bestehenden Konfliktstrukturen docken auch politisch motivierte Gewalttäter an. Das problemgeschwängerte Fußballumfeld bietet ihnen die perfekte Nische, um aktiv zu werden.

Dass es bei den Überfällen im Rahmen von Fußballspielen nicht um Sport geht, glaubt auch Staatsanwalt Schulz: "Fußball ist für viele Personen nur die Bühne, um sich auszuleben." Es gebe in einzelnen Fußballvereinen gewachsene Strukturen im Bereich der Hooligan- und Ultraszene und ausgeprägte Feindschaften zu Anhängern anderer Vereine. "Da kommt es dann zu diesen Auseinandersetzungen, die sich auch gegen die Polizei richten können", meint Schulz.

Nazis im Fußball sind kein spezifisches Leipzig-Phänomen. Gerade deren Alltäglichkeit hat in Leipzig aber dazu geführt, dass für einige Fußballbegeisterte politische Arbeit zur Notwendigkeit wurde. Vor zehn Jahren wurde mit einem klaren Bekenntnis zum politischen und antifaschistischen Engagement der "Rote Stern Leipzig" gegründet. Nach rassistischen Beschimpfungen gegen den FC-Sachsen-Spieler Adebowale Ogungbure entstand die Faninitiative "Bunte Kurve". Auch viele Fans der BSG Chemie berufen sich auf einen antirassistischen Grundkonsens. Durch ihr Engagement aber werden Fußballfans zum Feindbild der Neonazis.

Niemand will Verantwortung übernehmen

Die Gesellschaft ist hilflos - Aufnahme beim Überfall in Brandis mit Polizist im Oktober 09 (Foto: Oberliga-Süd)
Die Polizei kann das Problem nur eindämmern, nicht lösenBild: Oberliga-Süd

Die Gewalt wächst. Polizei und Politik schieben die Verantwortung meist dem Verband und den Vereinen zu - diese müssten sich um ihre Anhänger und die Sicherheit selbst kümmern. Die Vereine hätten schließlich das Hausrecht in ihren Stadien. Der Fußballverband sieht seine Hände gebunden, wenn es um aktives Einwirken auf das Problem geht. Die Vereine wiederum betonen, dies stünde nicht in ihrer Macht. Schließlich kämen die Gewalttäter von außen und seien für die Ordner am Stadiontor nicht zu erkennen. Oft ist in diesem Zusammenhang auch davon die Rede, dass Politik generell im Stadion nichts verloren habe, und folglich auch nicht in der Vereinsarbeit.

Die Frage, wie mit Nazis im Stadion umzugehen sei, war auch einer der zentralen Punkte im Zerwürfnis zwischen dem Vorstand des FC Sachsen und Teilen der Fanbasis. Die Fans, die ein klares Bekenntnis gegen Rechts forderten, gründeten letztlich einen eigenen Verein: Die BSG Chemie.

Dem Roten Stern Leipzig, dessen Anhänger eher dem linken Spektrum zuzuordnen sind, wurde in den einschlägigen Internetforen und gar im eigenen Gästebuch vorgeworfen, der Verein habe schließlich mit seinem politischen Engagement und seinem Namen die Gewalt provoziert und sei daher selbst schuld.

Niemand will für die Gewalttaten in den Stadien zuständig sein, ausbaden müssen es die Betroffenen, im aktuellen Fall ist dies der Rote Stern. Der Verein hat Strafanzeige gegen die Angreifer gestellt, fünf Neonazis wurden nach wochenlangen Fahndungen festgenommen, einer davon ist ein NPD-Funktionär. Das Spiel soll nach Willen des Leipziger Fußballverbandes wiederholt werden, denn als das Spiel abgebrochen wurde, stand noch kein eindeutiges Ergebnis fest.

Autoren: Thyra Veyder-Malberg, Tobias Prüwer, Sylvia Ehl

Redaktion: Kay-Alexander Scholz