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Fußballer-Vorlesung

Jens Thurau, Berlin 20. April 2004

Im Hörsaal der Berliner Humboldt-Uni blitzen Kameras, Fotografen schubsen. Kein Wunder: der Dozent, der heute zu den Studenten der Wirtschaftswissenschaften spricht, ist Fußballstar und Ex-Europameister Oliver Bierhoff.

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Leistungsdenker BierhoffBild: dpa

Oliver Bierhoff war der Traum aller Schwiegermütter. Erfolgreich im Job - 1996 schoss er die deutsche Nationalmannschaft zum Europameister -, gut aussehend, skandalfrei und nebenbei noch Student der Betriebswirtschaft. Inzwischen ist die Sportkarriere beendet und das Studium abgeschlossen. Es ist anzunehmen, dass einer wie Bierhoff etwas über die Gemeinsamkeiten von Sport und Wirtschaft zu sagen hat. Genau das tut er dann auch bei seiner Vorlesung an der Berliner Humboldt-Universität (14.4.2004). Thema des Referats: "Was die Gesellschaft vom Sport lernen kann."

Deutschland im Abstiegskampf

Von innen hat er Universitäten während seines Studiums nur selten gesehen; Bierhoff hat an der Fernuniversität Hagen studiert. Schließlich war er als Spieler ja viel unterwegs - in Frankreich, Österreich, vor allem beim AC Mailand. Vor einem Jahr beendete der 36-Jährige seine Laufbahn und kehrte in das Krisenland Deutschland zurück - wo es ihm aber nicht so richtig gefällt: "Die aktuelle Situation in Deutschland kommt mir ein wenig vor wie bei einer Fußballmannschaft, die überraschend gegen den Abstieg spielt. Der Erfolg bleibt aus, jeder ist irgendwie unzufrieden, irgendwie kann man auch gar nicht begreifen, dass es so weit kommen konnte. Und jeder weiß, dass sich etwas ändern muss, aber jeder wartet darauf, dass der andere etwas tut."

Der Stärkere gewinnt

Der gut aussehende Multimillionär outet sich als Wirtschaftliberaler: Eliten und Unternehmen müssten besser gefördert werden, Begriffe wie Erfolg und Wettbewerb seien in Deutschland negativ besetzt. Der Kündigungsschutz gehöre gelockert, die Löhne flexibilisiert. Grundsätzlich solle sich der Staat zurückhalten, sonst geriete das Spiel der Wirtschaft ins Stocken. So die Bierhoffschen Kernthesen. Die Agenda 2010 des Bundeskanzlers Gerhard Schröder sei zwar ganz gut, aber wählen werde Bierhoff den SPD-Mann eher nicht: "Der Klassenerhalt kann im weltweiten Wettbewerb nicht Deutschlands Anspruch sein. Es muss immer um die Meisterschaft gehen. Nicht nur bei der Nationalmannschaft. Aber wie kommen wir wieder in die Champions-League? Im Fußball sagt man: Über den Kampf zum Spiel finden. Oft wird eine Richtungsänderung auch von einem Trainerwechsel erhofft, und oft tritt sie dann auch ein. Aber ich kann Ihnen versichern: Der Erfolg kommt nur, wenn jeder sich an die eigene Nase packt und alle an einem Strang ziehen."

Oliver Bierhoff - Deutschland Kuwait
Bild: AP

Derart straffe Leistungsorientierung ist in der Universitätsstadt Berlin nicht jedermanns Sache. Vom Balkon werden Protest-Flugblätter linker Studentengruppen herab geworfen, Bierhoff wird mit kleinen Plastikbällen beworfen, die er wie früher auf dem Feld souverän annimmt und auf seinem Rednerpult anordnet.

Spieltheorie

Deutschland sei es lange zu gut gegangen, Sozialstaatlichkeit werde nur als Transferpolitik begriffen, die Eigenverantwortung käme zu kurz. Und die internationale Wirtschaft brauche wenige, aber klar verständliche Regeln - wie der Fußball halt. So einfach ist das. Die meisten Studenten sind da doch etwas komplexere Zusammenhänge gewohnt. Aber nett ist er, der Bierhoff, keine Frage. Und mal ehrlich: Im Bundestag sind zum gleichen Thema schon weniger fundierte Reden gehalten worden.

Zum Schluss scharen sich dann die Studenten, die sich nun wieder ein Semester lang über die Spieltheorie in der Wirtschaft das Hirn zermartern werden, um den hoch gewachsenen Mann im dunklen Anzug. Und der schreibt bereitwillig Autogramme. Wenn wir nur alle anpacken, geht es voran, so wie damals, 1996 im Endspiel gegen Tschechien, als Deutschland zurücklag und der Trainer einen neuen Stürmer brachte. Der machte zwei Tore, Deutschland war Europameister. Wie hieß doch gleich der Stürmer? Richtig: Bierhoff.