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Fußballfieber im Exil

23. Juni 2010

Schwarz-rot-goldene Fahnen in ganz Deutschland, Public viewing bei strahlendem Sommerwetter – mit Wehmut denkt Christina Bergmann an die letzte Fußballweltmeisterschaft zurück. Denn in den USA ist davon wenig zu spüren.

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Bild: DW

Die grün-gelbe Eintrittskarte liegt noch immer auf dem Schreibtisch meines Sohnes. Sein Name steht darauf, das Datum – 14. Juni 2006 – und wo er sitzen durfte, im Dortmunder Stadion: Block 61, Reihe 12, Sitz 36. Was war das damals für ein Gefühl, als wir alle gemeinsam mit Oliver Neuville den Ball zum 1:0 in der buchstäblich letzten Spielminute ins Tor der Polen schossen.

Nostalgische Gedanken an die Stimmung jenes Fußballsommers, jetzt, wo die nächste Fußballweltmeisterschaft vor der Tür steht. Und wo wir jetzt in einem Land leben, in dem die Einheimischen mit Fußball wenig anfangen können. Und das, obwohl die Fußballfrauen schon zwei Mal Weltmeister und zuletzt immerhin dritte wurden. Auch die Teenager spielen hier mit ihren Vereinen auf Plätzen, von denen ihre Altersgenossen in Deutschland nur träumen können. Doch nach der High School verläuft die Karriere der amerikanischen Kicker offenbar im Sande und selbst Franz Beckenbauer konnte die Amerikaner nicht für das Spiel begeistern.

Wo schauen?

Aus Sicht der USA kommt bei dieser WM in Südafrika erschwerend der Zeitunterschied hinzu. Und selbst für uns heißt es im Zweifelsfall: Wecker stellen. Deutschland gegen Serbien morgens um 7 Uhr 30? Wenigstens können wir im Kabelfernsehen auch die Sportsender empfangen und müssen uns nicht schon um diese Uhrzeit nach einer öffentliche Schau-Gelegenheit umsehen. Dabei macht das gemeinsame Anfeuern ja viel mehr Spaß. Wo also hingehen? Zum ersten Spiel der Deutschen am Sonntag gibt es einige Alternativen. Die deutsche Botschaft hat eingeladen, zusammen mit den Australiern, ist zu hören. Auch das Goethe-Institut zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung veranstaltet ein "Public Viewing". Offenbar bekommen noch mehr Deutsche im Exil Fußball-Heimweh.

Christina Bergmann
Christina Bergmann

Pünktlich zur WM macht auch das "Biergartenhaus" in der US-Hauptstadt auf. 30 europäische Biersorten und zwei große Leinwände versprechen Fußballvergnügen drinnen und auch auf einer Terrasse. Der Laden hat schon jetzt, vor der Eröffnung, über 2500 Facebook-Freunde. Auf die normalen US-Fernsehsender kann man sich jedenfalls nicht verlassen, und auch in den Zeitungen scheint es vor allem ein Thema im Zusammenhang mit der WM zu geben, über das berichtet wird: Die Vuvuzela, jenes langgezogene Horn, mit dem Fußballfans in Südafrika ihre Mannschaft anfeuern.

Gewissensbisse vermieden

Mit Entsetzen hatte ich außerdem festgestellt, dass ein Sommer-Fußballturnier meines Sohnes ausgerechnet am 11. Juli stattfindet. Es kann wohl nur in den USA passieren, dass selbst die Veranstalter von Fußballturnieren nicht wissen, wann DAS Fußballspiel des Jahres stattfindet. Zum Glück sind so viele Spieler in dieser Zeit bereits im Urlaub, dass die Mannschaft meines Sohnes die Teilnahme abgesagt hat. Das erspart mir den Titel "Rabenmutter", weil ich mir nicht heimlich wünschen muss, sein Team solle doch möglichst schnell verlieren, damit wir es zum Endspiel der "großen Kicker" rechtzeitig nach Hause schaffen.

Dabei tue ich ja sonst alles für die Fußballleidenschaft des Kindes. So war es eine Ehrensache, auf dem jährlichen Medienfest der deutschen Botschaft, das diesmal ganz auf die Weltmeisterschaft abstimmt war, beim Torwandschießen mitzumachen. Als Preis winkte schließlich ein WM-Ball. Weil ich keine Zeit mehr gehabt hatte, mich nach der Arbeit umzuziehen, musste ich in Pumps mein Glück versuchen. Das Ergebnis: Mein Sohn kann jetzt den äußerlich arg abgenutzten, aber immer noch voll einsatzfähigen "Teamgeist", den er zu jedem Training und jedem Spiel mitschleppt, gegen einen funkelnagelneuen "Jabulani" austauschen. Zumindest das Warmlaufen zur WM verlief also schon mal ganz nach meinem Geschmack.

Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Reinhard Kleber