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"Gül ist politisch die akzeptablere Figur"

26. April 2007

Anstelle des türkischen Regierungschefs kandidiert Außenminister Gül bei den Präsidentschaftswahlen. Heinz Kramer, Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, bewertet die Entscheidung und ihre Folgen.

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DW-RADIO/Türkisch: Herr Kramer, angesichts der Massenproteste der vergangenen Wochen hat der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan nun auf eine Kandidatur für das höchste Amt im Staat verzichtet. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Heinz Kramer: Das ist sicherlich in gewisser Hinsicht eine Überraschung. Aber es ist eine Überraschung, die, glaube ich, viele Vorteile bringen wird. Zum einen entwickelte sich Ministerpräsident Erdogan in seiner möglichen Präsidentschaftskandidatur doch für weite Kreise zu einem roten Tuch. Seine Kandidatur hätte somit doch erhebliche Spannungen verursacht. Diese dürften nicht in dem Maße von einer Kandidatur Abdullah Güls zu erwarten sein. Er ist generell für die türkische Öffentlichkeit politisch die akzeptablere Figur im Vergleich zum Ministerpräsidenten.

Andererseits dürfte Erdogan mit dieser Wahl innerhalb der Partei, der AKP, keine großen Probleme verursachen. Gül ist Gründungsmitglied, Gül hat innerhalb der Partei durchaus auch, was dort wichtig ist, das Ansehen, ein gläubiger und glaubwürdiger Muslim zu sein. Genau wie bei Erdogan ist seine Frau Trägerin des Kopftuchs. Er ist daher eine Figur, die aus vielen Aspekten in der eigenen Partei relativ unumstritten sein wird, so dass auch hier keine größeren innerparteilichen Spannungen zu erwarten sind. Das Dritte ist, Erdogan bleibt auf Grund dieser Lage Parteivorsitzender. Er wird seine Partei in die nächsten Parlamentswahlen führen, und die kann damit von seiner unumstrittenen Funktion als Wahllokomotive profitieren.

Inwiefern?

Hier könnte ein Tableau entstanden sein mit Gül als Präsident und Erdogan als Ministerpräsident, der nach wie vor dann auch die Zügel der Politik in der Hand hält. Gerade in dieser Kombination dürfte das Amt des Präsidenten weniger an politischer Bedeutung haben, als es in anderen Zeiten der Fall gewesen wäre. Mit Erdogan dann als Ministerpräsident und Wahlkampfkandidat oder Ministerpräsidentschaftskandidat in künftigen Wahlen wird die Wahrscheinlichkeit, dass die AKP ihre absolute Mehrheit in den nächsten Parlamentswahlen verteidigt, deutlich steigen. Insgesamt hat Erdogan mit dieser Entscheidung eigentlich ein politisches und personelles Tableau geschaffen, das gute Aussichten für die AKP und für ihn bringt, noch einmal fünf Jahre lang unangefochten die politischen Geschicke der Türkei bestimmen zu können.

Was wird jetzt aus der türkischen Außenpolitik?

Ich glaube, Gül hat sie sicherlich beeinflusst. Aber auch Erdogan hat sicherlich seinen Einfluss auf die Außenpolitik gehabt, und ich glaube, dass zwischen Erdogan und Gül letztlich keine prinzipiellen Differenzen über die Orientierung und auch über die konkrete Durchführung der türkischen Außenpolitik bestanden haben. Jetzt kommt es eigentlich darauf an, einen Kandidaten zu finden, der einerseits innerparteilich abgesichert ist, aber natürlich auch gegenüber dem Ausland Kontinuität signalisiert.

Fatal wäre es, wenn dort eine Person an die Spitze des Außenministeriums gestellt würde, die als totaler Newcomer anzusehen wäre, die sich im Grunde sowohl nach innen als auch nach außen, vor allen Dingen nach außen gegenüber den USA, gegenüber der EU aber auch gegenüber den wichtigen Partnerstaaten der Türkei im Nahen und Mittleren Osten erst ein Standing erarbeiten müsste. Hier ist schon die Notwendigkeit gegeben, eine auch außenpolitisch akzeptable, irgendwie gestandene politische Figur zu positionieren.

Das Interview führte Baha Güngör
DW-RADIO/Türkisch, 24.4.2007, Fokus Ost-Südost