1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Zu lange unabgestimmt geplant"

Friedel Taube
7. Juni 2017

Die Europäische Kommission schlägt eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten bei der Verteidigung vor. Michael Gahler (EVP) findet, dass das zu einem guten Zeitpunkt kommt - der EU helfe dabei unter anderem der Brexit.

https://p.dw.com/p/2eHlN
Mali Deutschland Ausbildungsmission der Bundeswehr in Koulikoro
Bundeswehrsoldat auf EU-Mission in MaliBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Deutsche Welle: Die Europäische Kommission hat am Mittwoch ein Papier zur Zukunft der europäischen Verteidigungspolitik vorgelegt. In drei Szenarien beschreibt sie verschiedene Niveaus der Zusammenarbeit, die von der bisherigen freiwilligen Fall-zu-Fall-Kooperation über eine teilweise Zusammenarbeit in Bereichen wie Grenzschutz und Anti-Terror-Kampf bis hin zur ambitionierten "Gemeinsamen Verteidigung und Sicherheit" reichen. Braucht die EU überhaupt diesen neuen Anlauf?

Ja, den brauchen wir, denn wir haben eine Veränderung der Weltlage in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Wir haben in der EU über viele Jahre getrennt gespart und auch unabgestimmt geplant. Weil wir alle zu wenig Geld haben, müssen wir jetzt schauen, dass wir die Effizienz steigern. Wir müssen mehr gemeinsam planen und Strukturen schaffen. Auch um in Angelegenheiten tätig werden zu können, bei denen einzelne andere NATO-Partner dagegen sind - die Türkei zum Beispiel.

Aber warum gerade jetzt? Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte vor einigen Tagen, auf manche Partner sei ein Stück weit kein Verlass mehr. Ist die militärische Neuausrichtung jetzt die Reaktion auf Trump und Co.?

Nein, so schnell reagieren wir darauf nicht, das wäre sehr kurz gedacht. Es ist eher eine Reflexion auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin und was er seit der Aggression gegen die Ukraine tut. Im Europäischen Parlament haben wir diese ganzen Fragen, die in dem Papier vorkommen, seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages vor acht Jahren systematisch bearbeitet. Seit 2013 gibt es diesbezüglich schon Vorschläge des Europäischen Rates, die aber noch nicht umgesetzt wurden. Jetzt ist dazu die Gelegenheit.

Deutschland Michael Gahler beim Landesparteitag der CDU Hessen mit Beschluss der Landesliste fuer die Euro
Michael Gahler (EVP)Bild: Imago/Eibner

Und richtig: Das fällt zeitlich zusammen mit einer neuen US-Administration, die verbal etwas anders daherkommt als ihre Vorgänger. Aber in der Substanz ist die Aufforderung, dass wir mehr für unsere eigene Verteidigung tun müssen, älter. Sie ist berechtigt, und wir können mehr erreichen, wenn wir zusammen handeln.

Eine andere Realität ist der Brexit. Großbritannien stand der gemeinsamen Europäischen Sicherheitspolitik ja immer skeptisch gegenüber. Denkt sich die EU-Kommission bei dem heutigen Vorstoß vielleicht auch: "Jetzt, wo die Briten weg sind, legen wir richtig los!"

In der Tat. Die Briten haben beispielsweise bei der Europäischen Verteidigungsagentur seit 2009, seit die Konservativen an der Regierung waren, einen Inflationsausgleich verhindert. Als wir ein gemeinsames Hauptquartier einrichten wollten, haben sie das auch geblockt. Hier sind wir jetzt in der Lage das zu tun, was wir für erforderlich halten. Und interessant ist auch, dass die heutigen Vorschläge eine erste Post-Brexit-Regulierung enthalten: Denn die Vorschläge sehen vor, dass in Zukunft britische Firmen von EU-Verteidigungsausgaben ausgeschlossen werden. 

Der Brexit als Chance für die gemeinsame Verteidigungspolitik?

Einerseits ja, denn jetzt können wir die Vorgaben aus dem Lissaboner Vertrag umsetzen. Andererseits erleben wir Tory-Abgeordnete hier im Parlament, die jetzt, also "auf dem Weg nach draußen", das Potenzial der gemeinsamen Verteidigungspolitik entdecken. Sie merken, dass sie vielleicht auch nach dem Brexit mitmachen könnten. Die Kollegen bitten uns, keine Regelung zu treffen, die eine britische Mitwirkung ausschließt. Das werden wir auch nicht tun, denn die Briten haben einen großen Verteidigungshaushalt, und wenn sie beschließen, bei bestimmten Projekten mitzumachen, werden wir sie nicht ausschließen. Aber die Beschlüsse treffen wir, sie haben kein Mitspracherecht mehr.

Wieso soll eine gemeinsame Verteidigungspolitik, die seit dem Maastrichter Vertrag ja nie richtig zum Tragen gekommen ist, ausgerechnet jetzt gelingen? Bislang hat es ja oft am gemeinsamen politischen Willen gefehlt. 

Die Friedenszone Europa ist nicht für alle Zeit in Stein gemeißelt, das ist uns durch die Aggression auf der Krim und im Osten der Ukraine klar geworden. Es gibt in Europa wieder Länder, die den Status quo ändern wollen und dazu das Völkerrecht brechen. Dazu kommt die Aufforderung der Amerikaner an Europa, sich um den eigenen "Vorgarten" zu kümmern und selber mehr zu machen. Und: Es gibt zu wenig Geld für das alles. Das ist Anlass genug, um mehr zu tun. Auch, um den europäischen Pfeiler der NATO zu stärken: Es ist nicht beabsichtigt, aus dem transatlantischen Bündnis auszusteigen.

Weil Sie so viel von Effizienz sprechen: Was kostet die EU-Mitglieder denn bislang die fehlende Zusammenarbeit?

Wir haben, wenn man mal alle 28 Staaten zusammenzählt, einen Haushalt von jährlich 200 Milliarden Euro für Verteidigung. Im Rahmen einer Studie haben wir 2014 einmal errechnen lassen, dass 25 Milliarden Euro davon zustande kommen, weil wir zu wenig zusammenarbeiten. Andere Berechnungen liegen noch höher. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit, auch vor Ort - ich will beispielsweise nicht wieder eine Situation haben, in der Deutsche und Franzosen sich in Mali am Boden nicht einmal gegenseitig betanken können. Solche A-ha-Erlebnisse gab es in den vergangenen Jahren. Deswegen unterstütze ich den Vorschlag der Kommission. Heute ist ein guter Tag für die europäische Sicherheit.

Michael Gahler ist Mitglied des Europäischen Parlaments. Der CDU-Politiker aus Hessen gehört der Fraktion der Europäischen Volkspartei an und ist ihr verteidigungspolitischer Sprecher.

Das Interview führte Friedel Taube.