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Galinos: "Flüchtlinge werden jetzt bestraft"

Bernd Riegert15. April 2016

Flüchtlinge in die Türkei zurückzuschicken, hält der Bürgermeister von Mytilene auf Lesbos für falsch. Der Papstbesuch sollte die Botschaft der Liebe verstärken, die von seiner Insel ausgeht, meint Spyros Galinos.

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Griechenland, Lesbos: Spyros Galinos, Bürgermeister von Mytilene (Foto: DW/Riegert)
Bild: DW/B. Riegert

Herr Bürgermeister, sind Sie aufgeregt, dass der Papst und zwei orthodoxe Kirchenführer auf Ihre Insel Lesbos kommen?

Spyros Galinos: Ohne Zweifel ist es eine große Ehre, dass die Führer dieser drei Kirchen uns besuchen und die Botschaft in die Welt tragen, die wir schon lange von unserer Insel zu verbreiten versuchen. Wir sind die Insel der Liebe, der Solidarität und der Menschlichkeit. Durch ihre Anwesenheit wird die Botschaft nur noch stärker.

Aber ist es nicht sehr stressig, diesen Besuch zu organisieren? Die Sicherheit, der Transport, die Logistik - belastet Sie das nicht noch zusätzlich zu der Arbeit, die Sie ohnehin mit den Flüchtlingen haben?

Nein, daran haben wir uns eigentlich gewöhnt. Wir haben im vergangenen Jahr 550.000 Menschen hier empfangen. Trotz dieser enormen Zahl haben wir das mit Menschlichkeit und einigermaßen effizient getan. Wir sehen den Besuch als Ehre und die Symbolkraft ist immens.

Das Abkommen zwischen der Türkei und der EU zur Abschiebung von Flüchtlingen zeigt Wirkung. Es kommen wesentlich weniger Menschen auf Lesbos an. Wie wirkt sich das auf Ihrer Insel aus?

Ich muss Ihnen sagen, dass wir bereits vor dem 20. März, als das Abkommen in Kraft trat, hier gute Bedingungen hatten. Wir waren bereits gut organisiert. Wir hatten Willkommens-Camps und konnten unsere Besucher, so will ich sie nennen, mit Würde behandeln. Wir haben also hier keinen Druck verspürt. Außerdem haben wir uns sehr angestrengt, die Strände von Müll und Unrat zu säubern. Wir sind auch mit anderen Problemen fertig geworden, die die plötzliche Ankunft von so vielen Besuchern nun einmal mit sich bringt.

Nach dem Inkrafttreten den Abkommens hat die Zahl der Neuankömmlinge abgenommen. Aber das kümmert uns eigentlich recht wenig. Was uns bekümmert, ist die Art und Weise, wie die Flüchtlinge jetzt behandelt werden. Wir glauben, jetzt werden sie richtiggehend bestraft. Stellen Sie sich nur einmal vor, diese Menschen sind vor Krieg, Ausbeutung, Gewalt geflohen und entkommen. Sie haben die gefährliche Reise auf sich genommen und sind schließlich im Land ihrer Hoffnung angekommen. Das stellen wir nun einmal für sie da. Und plötzlich werden sie dahin zurückgeschickt, von wo sie geflohen sind!

Griechenland, Lesbos: Abschiebung von Flüchtlingen in die Türkei (Foto: Reuters)
Flüchtlinge auf Lesbos auf dem Weg auf ein Schiff, das sie in die Türkei zurückbringtBild: Reuters/G. Moutafis

Ich bin etwas überrascht zu hören, dass Lesbos mit der Aufnahme dieser vielen Menschen keine Probleme gehabt haben soll. Sind denn die Einwohner der Insel Ihrer Auffassung? Teilen sie diese Willkommenskultur?

Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt daran und deshalb sind wir auch als die "Hauptstadt der Solidarität" weltweit ausgezeichnet worden. Die Inselbewohner haben unsere Anstrengungen gesehen und auch gemerkt, dass die lokale Verwaltung auch umsetzt, was sie angekündigt hat.

Am Anfang waren sie von der schieren Zahl der Ankommenden überwältigt oder auch schockiert, aber nach und nach haben wir uns organisiert und gesehen, dass wir damit in der bestmöglichen Weise umgegangen sind. Die Menschen waren am Ende überzeugt, dass wir mit unseren Besuchern auf jeden Fall koexistieren können.

Sie sind ja sozusagen an der Frontlinie der Flüchtlingskrise. Haben Sie von der griechischen Regierung in Athen und der Europäischen Union genügend Hilfe erhalten?

In der ersten Phase von April bis September 2015 waren wir völlig auf uns allein gestellt. Die griechische Regierung war mit Finanzverhandlungen mit der EU und Neuwahlen beschäftigt. Dann kam mehr und mehr Unterstützung. Ich rede da noch nicht von Geld, sondern moralischer und praktischer Unterstützung. Es wurden zum Beispiel mehr Fähren nach Athen eingesetzt und Beamte geschickt, um die Überfahrten zu organisieren. Das lief recht gut.

Von der EU haben wir noch immer nicht die Hilfe, die wir uns wünschen, aber es wird besser. Es geht alles etwas schneller. Wir arbeiten mit den EU-Offiziellen zusammen. Es laufen jetzt jede Menge Programme an, die vor allem dazu dienen, die Schäden des vergangenen Jahres zu beseitigen.

Griechenland: Flüchtlingslager Moria auf Lesbos (Foto: DW/Riegert)
Das Flüchtlingslager Moria auf LesbosBild: DW/B. Riegert

Wie sind die Auswirkungen der Flüchtlingswelle auf die Wirtschaft auf der Insel? Sind die Buchungen der Touristen zum Beispiel zurückgegangen?

Ich war einer der ersten, der gesagt hat, man kann menschliches Leben nicht gegen Wirtschaftsgüter aufrechnen. Ich weigere mich immer noch, das zu tun. Natürlich gibt es in unserer Gesellschaft starke Befürchtungen, dass dieses Jahr ein Desaster wird. Aber ich sage Ihnen, es wird kein Desaster geben, mehr noch: Es werden mehr Touristen kommen als zuvor.

In all diesen Monaten, in denen wir Flüchtlinge aufgenommen haben, hat sich die natürliche Schönheit der Insel und ihr kultureller Reichtum doch nicht verändert. Wir konnten in der Krise die Großherzigkeit unserer Menschen hier zeigen. Also gibt es doch keinen Grund, nicht mehr nach Lesbos zu kommen. Im Gegenteil: Das ist sogar ein Grund mehr zu kommen, jetzt wo sie gesehen haben, wie gastfreundlich wir sind.

Der Sinn des Abkommens der EU mit der Türkei ist ja, dass am Ende alle Flüchtlinge - oder Besucher, wie Sie sagen - die Insel verlassen und niemand mehr aus der Türkei hierher übersetzt. Geht es Lesbos dann besser?

Seit dem vergangenen Jahr schlage ich vor, dass die Menschen bereits in der Türkei die Möglichkeit haben sollten, einen Asylantrag für die Europäische Union zu stellen. Diejenigen, die herkommen dürfen, können das dann direkt machen, ohne sich in die Hände von Schmugglern begeben zu müssen. Es ist völlig falsch, sie die gefährliche Überfahrt für viel Geld in Gummibooten wagen zu lassen und sie dann am Ende doch zurückzuschicken. Wir sollten sie bereits in der Türkei abfangen und auf europäische Länder verteilen, die sie aufnehmen wollen.

Spyros Galinos (64) ist seit 2014 Bürgermeister der Hauptstadt von Lesbos. Er war bis 2013 Generalsekretär der rechtspopulistischen Partei "Unabhängige Griechen". Den eher fremdenfeindlichen Kurs seiner Partei teilt Galinos überhaupt nicht und überwarf sich mit der Parteispitze. Von 2009 bis 2013 war Spyros Galinos Parlamentsabgeordneter für die konservative Partei "Nea Demokratia" in Athen.

Das Interview führte Bernd Riegert.