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Gamescom 2017: Starke Geschichten

Julia Hitz
24. August 2017

Wird die erste Gamer-Generation erwachsen? Die Ansprüche an Spiele scheinen gestiegen zu sein: mehr Charakter, bessere und originellere Geschichten. Innovatives Storytelling ist nicht mehr nur Sache von Indie-Games.

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Screenshot aus dem Computerspiel "Pillars Of The Earth" (Daedalic Entertainment)
Screenshot aus dem Computerspiel "Pillars Of The Earth" von "Daedalic Entertainment"Bild: Daedalic Entertainment

Die Erfolge der "Super Mario"-Reihe und diversen Sport- und Simulationsspielen beweisen, dass Games auch ohne viel Geschichte funktionieren. Aber an den erzählerischen Innovationen, die Spieleprogrammierer der sogenannten Indie-Games, also Spielen kleinerer Entwicklerfirmen, in den letzten Jahren gemacht haben, muss sich heute selbst so mancher Ego-Shooter messen lassen. 

Entsprechend ist am Fachbesuchertag der Spielemesse Gamescom (22.8.) die Schlange vor dem Sequel des unkonventionellen Adventure-Games "Life Is Strange: Before The Storm" genauso lang wie die vor dem Ego-Shooter "Destiny 2". Und auch unter den größten Spiele-Hits sind mittlerweile viele Titel mit starkem Storytelling, wie etwa die Action-Adventures "Uncharted" oder "The Last Of Us" des US-amerikanischen Entwicklers "Naughty Dog". In den USA werden mittlerweile bekannte Serienautoren von der Spieleindustrie angeworben. Storytelling in Games funktioniere aber nach anderen Regeln als Schreiben fürs Fernsehen, gibt Carolin Wendt von der Stiftung Digitale Spielkultur zu bedenken. "Beim Spiel kann man nicht komplett kontrollieren, wie der Spieler die Geschichte erlebt. Man muss so schreiben können, dass es spannend ist, egal, wann der Spieler den Teil der Geschichte erlebt." 

Carolin Wendt, Projektmanagerin bei der Stiftung Digitale Spielekultur
Carolin Wendt ist Projektmanagerin bei der Stiftung Digitale Spielekultur, die in Deutschland die vielfältigen Möglichkeiten digitaler Spiele vermitteln willBild: Stiftung Digitale Spielekultur

Life is strange: Neue Geschichten, anders erzählt

Der Markt für Spiele mit Tiefgang ist da. Es gebe viele Spieler, die sich solche Stories wünschen, "mit komplexem Aufbau, eigenem Handlungsspielraum und Charakteren, die nicht einfach gut oder böse sind", meint Stéphane Beauverger, Narrative Director beim französischen Entwickler "Dontnod Entertainment". Die Pariser Firma hat 2015 den Überraschungshit "Life Is Strange" verantwortet. Dabei entsprach das Mystery-Teenie-Drama so gar nicht den gängigen Spielewelten: Die Story dreht sich um die 18-jährige Fotografie-Studentin Max Caulfield und ihre draufgängerische beste Freundin Chloe.

Screenshot aus dem Spiel "Life Is Strange" (2015, "Dontnod Entertainment")
Der Überraschungshit "Life Is Strange" von 2015 bekommt an der Gamescom 2017 eine VorgeschichteBild: Dontnod Entertainment

Max hat nicht nur Visionen von einem Tornado, der ihre Heimatstadt zerstört, sie entdeckt auch eine Gabe: Sie kann die Zeit zurückdrehen. Dieser Twist bestimmt sowohl die Story als auch das Spielprinzip: Der Spieler bekommt die Möglichkeit, Entscheidungen rückgängig zu machen und neu zu treffen. Damit hat das Spiel eine kreative Antwort gefunden auf den seit Langem geführten Streit zwischen Ludologen (Spielwissenschaftlern) und Erzähltheoretikern, die entweder die Spielemechanik oder die Story für den entscheidenden Erfolgsfaktor für Spiele halten. "Die größten Erfolge kommen, wenn die Story und die Game-Mechanik zusammen passen", glaubt Carolin Wendt. "Wenn die Story nicht parallel zur Mechanik läuft, sondern - wie bei 'Life Is Strange' - das Zeit-Zurückdrehen gleichzeitig Mechanik und wichtiger Teil der Story ist". 

Der US-amerikanische Entwickler "Deck Nine" hat an der Gamescom 2017 das spielbare Prequel von "Life Is Strange" veröffentlicht: Darin wird die Geschichte der draufgängerischen Chloe erzählt - diesmal ohne Zeitreisen, dafür aber mit noch mehr Raum für Gefühle. Das Autorenteam ist - wie seine Zielgruppe - zwischen 20 und 35 Jahre alt. Vielleicht ist die Zeit einfach reif, auch breitenwirksam neue Themen und Settings im Gaming zu etablieren - ob für jüngeres oder älteres Publikum.

"Vampyr": Ausgefeilte Spielwelt

An der diesjährigen Gamescom wird auch das neueste Spiel von "Dontnod" vorgestellt, das im November auf den Markt kommt. Mit "Vampyr" haben sie sich an ein komplexes Rollenspiel gewagt: "60 glaubwürdige, vielschichtige Nebencharaktere zu entwerfen, war eine große Herausforderung", sagt Stéphane. Beauverger. "Außerdem wollte ich der großen Gothic-Literatur - 'Dracula', 'Frankenstein', den phantastischen Horrorgeschichten von H.P. Lovecraft - ein Denkmal setzen." "Vampyr" entwirft ein düsteres London um 1918: Die spanische Grippe grassiert, überall siechen die Menschen vor sich hin. Der Protagonist Jonathan Reid ist Arzt muss sich nach seiner Vampirwerdung dem moralischen Dilemma stellen: Blut trinken oder Menschenleben retten? 

Screenshot aus dem Spiel "Vampyr"
Reinbeißen oder nicht? Das neue Spiel "Vampyr" läßt dem Spieler die WahlBild: Focus Home Entertainment

"Ich glaube, die Spieler werden reifer: 85 Prozent aller Gamer sind Erwachsene, nur 15% sind jünger als 18 Jahre", fasst Beauverger die Entwicklung zusammen. In Frankreich wurden vor zwei Jahren auch die Förderkriterien angepasst. Nun können auch Games mit der Zielgruppe 18 plus Zuschüsse bekommen. Eine gute Entwicklung, findet Bauverger. "Natürlich kann man sehr komplexe Stories entwickeln - bei Filmen, Büchern und Comics. Aber bei Videospielen hat man immer gesagt, das sei doch nur Entertainment, das sei nur für die Jungen. Und das ist einfach nicht wahr."

"Die Säulen der Erde": Das Game zum Beststeller

Der deutsche Entwickler "Daedalic Entertainment" hat sich auf starke Stories spezialisiert. Gerade ist der erste Teil seiner dreiteiligen Game-Adaption des Bestsellers "Die Säulen der Erde" von Ken Follett erschienen. Eingemischt hat sich Ken Follett bei der Spieleentwicklung allerdings nicht, erzählt Valentina Tamer, Narrative Writer bei Daedalic: "Er hat gesagt: 'Ich weiß wie man Romane schreibt, ihr wisst, wie man Spiele macht. Ich hab davon kein Ahnung, ich werde euch nicht reinreden.' Wir hatten also sehr viel kreative Freiheit."

Gamescom Storytelling
Entscheidungen haben Konsequenzen: Auch bei "Pillars Of The Earth" von DaedalicBild: Daedalic Entertainment

Das hieß für die Spieleautoren: die Kernszenen finden, ihre Reihenfolge umstellen, Dialoge umschreiben und viele neue Texte für die Spielerführung. "Wir haben unheimlich viel daran verändert - alles in der Absicht, trotzdem bei dem Grundgefühl und der Grundaussage zu bleiben", so Tamer. "Trotzdem ist die Geschichte interaktiv, der Spieler beeinflusst das Spiel mit seinen Entscheidungen."

Storytelling in Games: Mehr als Dialoge

Gaming ist attraktiv, weil es Narrativen jenseits des klassischen Erzählens bietet. "Die großen Stärken von Spielen liegen in anderen Formen von Storytelling", so Carolin Wendt, "zum Beispiel 'Environemental Storytelling'. Man geht durch eine Halle, und wenn man nicht aufpasst, kriegt man von der Story nur die Hälfte mit, weil versteckte Botschaften auf den Wänden stehen. So was muss der Spieler aktiv selber sehen." Auch Valentina Tamer sieht starke Stories auf dem Vormarsch: "Shooter setzen mehr auf Story, und im Adventure-Bereich werden die Geschichten immer experimenteller und tiefer. Es ist jetzt eine Phase, in der ein Bewusstsein entsteht, dass eine Story durch Spiele anders erzählt werden kann - und dass darin noch viel Potential liegt."