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Finanzkrisen in der Geschichte

Godehard Weyerer23. September 2008

Die aktuelle Finanzkrise hat eine lange Vorgeschichte. Auffällig dabei: Den Wirtschaftskrisen ging eigentlich immer eine Phase der Expansion voraus. Nur einmal gab es eine lange Ruhephase an den Finanzmärkten.

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Eine Menschenmenge steht am 24. Okt. 1929 in der Wall Street in New York vor der Boerse.
Der Börsencrash 1929 löste die schwerste Wirtschaftskrise des 20. Jahrhunderts ausBild: AP

Bei der Suche nach historischen Finanzkrisen fallen die ersten drei Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich heraus. Zwischen 1945 und 1973 gab es nur vereinzelte und außergewöhnlich schwache Finanzkrisen. 28 Jahre Stabilität - das ist einmalig und wird wohl auch einmalig bleiben. Woran lag es? Natürlich: Der Aufstieg Europas aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges, der Marshall-Plan mit der massiven US-Finanzhilfe zum Wiederaufbau, die Teilung der Welt in Ost und West. Der Wettlauf der Systeme ging einher mit gewaltigen wirtschaftlichen Wachstumsschüben.

In Bretton Woods entstand ein neues Finanzsystem

Ebenso wichtig für die jahrzehntelange Stabilität nach 1945: Das System von Bretton Woods. In dem kleinen US-amerikanischen Bergdorf an der Grenze zu Kanada hatten sich die Alliierten 1944 auf Kontrollen des Kapitalverkehrs und auf feste Währungskurse geeinigt. Beide Regelungen wurden Eckpfeiler eines Weltfinanzsystems. Das neue System sollte die Fehler vermeiden, welche die Welt in die Große Depression der 1930er Jahre gestürzt hatten. In Deutschland hatte diese Krise das Ende der parlamentarischen Demokratie besiegelt.

Delegierte aus 44 Nationen stimmen im Sitzungssaal in Bretton Woods Regeln für ein Weltfinanzabkommen zu.
Im US-amerikanischen Bretton Woods wurde im Juli 1944 die Grundlage für ein Weltfinanzsystem gelegt.Bild: AP

Das Bretton-Woods-Abkommen hielt bis zum 14. August 1973. US-Präsident Richard Nixon kündigte an diesem Tag das Währungssystem der Nachkriegszeit einseitig auf. Grund war nicht zuletzt der Vietnam-Krieg, den die USA auf Pump finanziert hatten. Infolgedessen wuchs die im Umlauf befindliche Dollarmenge so stark an, dass Nixon sich schließlich außerstande sah, die in Bretton Woods eingegangene Verpflichtung aufrecht zu erhalten. Er konnte internationale Dollarguthaben nicht länger zu einem festen Satz von 35 Dollar pro Feinunze Gold eintauschen. Mit der Aufkündigung von Bretton Woods war eine neue Epoche eingeläutet. Jahre später erhielt sie auch einen Namen: Globalisierung. Die Wechselkurse sind seither frei und das Kapital fließt ungehindert rund um die Welt - immer auf der Suche nach dem "besten Wirt".

Die Weltbank spricht von mindestens vier großen Wellen massiver Kapitalflüsse, die unter marktliberalen Bedingungen in den vergangenen 130 Jahren über die Finanzmärkte rollten. Aber: Allen Phasen liberalisierter Kapitalflüsse folgte eine mehr oder weniger harte Bauchlandung.

Erster Weltkrieg beendet frühe Phase der Globalisierung

Die erste Welle liberalisierter Kapitalflüsse setzte um das Jahr 1870 ein und endete mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Von der länderübergreifenden Aufbruchstimmung zeugten internationale Großveranstaltungen wie die Weltausstellungen in London, Paris, Philadelphia und Chicago. Das Kapital floss in die Neue Welt und in die Kolonien; der Bau der Eisenbahnen bot genügend Spielraum für spekulative Anlagen. Die Elektro- und Chemieindustrie stritten auf dem Weltmarkt um die Vormachtstellung. Gerade den Deutschen gelang eine grandiose Aufholjagd. Was ihnen fehlte, waren der Platz an der Sonne, die Kolonien, der Weltmacht-Status. Mit dem Ausbruch des Krieges endete im August 1914 das erste Zeitalter der Globalisierung abrupt.


Die zweite Phase liberalisierter Kapitalflüsse begann nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er Jahren. Kurzfristige Kredite aus den USA deckten den Finanzierungsbedarf im Nachkriegs-Europa. Frankreich und Großbritannien hatten den Krieg größtenteils mit Krediten aus den USA finanziert und wollten sie durch Reparationen aus Deutschland zurückzahlen. Das Kaiserreich hatte den Krieg hingegen durch Anleihen seiner Untertanen und mit Geld aus der Notenpresse finanziert. Nach dem Krieg liefen in Deutschland die Notenpressen weiterhin Tag und Nacht. Was mehrere Vorteile bot: Einerseits verstärkte jeder neue Kurssturz der Mark in der Welt die Befürchtung, dass Deutschland außerstande war, die geforderten Reparationen zu zahlen. Andererseits ließen sich mit dem entwerteten Geld schnell und bequem die Kriegsanleihen zurückzahlen. Das Kalkül schien aufzugehen. Nach Hyperinflation, völliger Geldentwertung und Währungsreform folgten die goldenen 20er Jahre - auch dank der kurzfristigen Kredite aus den USA. Nach dem Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse allerdings zogen die US-amerikanischen Anleger ihr Geld über Nacht aus Deutschland ab. Die Folgen sind bekannt.

Ost-West-Konflikt heizte die Wirtschaft an

Die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg blieb fast drei Jahrzehnte lang in überschaubarer Ordnung. Mit der Aufkündigung des Bretton-Woods-Systems 1973 aber setzte die dritte Welle freier Kapitalflüsse ein und verschärfte die Schuldenkrise in den Ländern der Dritten Welt dramatisch. Die 80er Jahre standen noch einmal im Fokus der Ost-West-Auseinandersetzung; die Nachrüstung verschlang Unmengen an Geld und brachte hohe Renditen. Die bislang letzte Welle schließlich setzte zeitgleich ein mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Machtblocks.

Das frei fließende Kapital, schrieb der Wirtschaftswissenschaftler John M. Keynes bereits in den 30er Jahren, sucht sich Länder mit niedrigeren Sozialstandards. Wie auch immer die vierte Phase enden wird: Die Forderung, Kapitalverkehrskontrollen wieder einzuführen, entspricht dem Wunsch nach höherer sozialer Gerechtigkeit im globalen Maßstab. Damit einher geht der Wunsch nach der weltweiten Stabilisierung demokratischer Strukturen.