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Gasans Gedanken zur Buchmesse (II)

Gasan Gusejnov9. Oktober 2003

Unser Reporter Gasan Gusejnov, Mitarbeiter der russischen Redaktion von DW-WORLD, ist unterwegs auf der Frankfurter Buchmesse. Er berichtet täglich über Geschehnisse und Neuigkeiten vor und hinter den Verlagsständen.

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Das Web-Tagebuch zur Bücherschau

Beerdigung des Kommunismus

Am 8. Oktober 2003 gab es bei der Buchmesse eine symbolische Beerdigung des Kommunismus. Eine Art Performance. Ein Happening war es nicht: Nothing happened. Es war keine Wiederholung, aber es gab auch nichts Neues dabei. Nur nette Leute aus der alten "Tussovka", wie man neurussisch definiert.

"Vor 20 Jahren waren solche Aktionen in Russland von klarer Bedeutung: der Kommunismus war eben Staatsideologie, die einzige Legitimation des damaligen Regimes. Breschnew war noch am Leben, und die heute grauhaarigen Künstler waren damals noch jung und frech. Heute, könnte man fast sagen, sind sie auch frech geblieben. Wer hätte in den 1980ern geglaubt, das die ehemaligen Vor-Kämpfer des Non-Konformismus nur 20 Jahre später so dramatisch den Zeitgeist aus dem Blick verlieren würden ..."

So sprach ein älterer Herr aus Köln, der seit Jahren nach Frankfurt zur Buchmesse kommt. Der Auswanderer aus Rußland namens Onkel Grischa lebt in einer Sozialwohnung, ist Mitte 60 und sehr unzufrieden, dass man die richtige, das heißt, moderne Literatur, frei von den Klischees von gestern, nicht findet.

Die gibt es zwar auch, nur - sie ist schwer zu finden. Im vielleicht bedeutensten Magazin Russlands "Nowoe Literaturnoe Obozrenie" hat ein Enthusiast und Verleger - Dmitrij Kuzmin (Jahrgang 1968) - einen Sammelband herausgegeben - die "Nichthauptstädtische Dichtung". Ein Dichter - Andrej Sen-Sen'kov stammt aus Borisoglebsk, in der Nähe von Voronezh.

Mikrobücher aus Russland
Mikro-Bücher aus RusslandBild: AP

Der Millimeter als Genre

Er malt so kleine Bilder,
dass man bei seiner letzten Ausstellung
neben jede Arbeit
eine Lupe hängte
an einem schönen seidenen Faden.
Die Alben mit Reproduktionen seiner Werke,
erschienen beim Verlag Random House,
sind auf Verlangen des Autors
nie größer als eine Streichholzschachtel.
Er glaubt daran, dass ein eigener Schutzengel
nur den aufsucht, der unscheinbar klein ist.
Auf einer seiner Arbeiten
sieht man die Hände von Liebhabern,
die sich Asche in die Handfläche streuen.
Die Arbeit heißt
"Engel der Zigarettenasche, die mal zunimmt,
mal abnimmt
in Abhängigkeit davon, wie sich die Linien auf den Handflächen
füllen".

(Aus dem russischen: Dina Gusejnova)

Wie sein Verleger D. Kuzmin, ist Andrej Sen'kov im Jahre 1968 geboren. Sein fast masochistisch-provinzieller Kult der Bedeutungslosigkeit wird aber sowohl hier im Westen als auch in Russland kaum wahrgenommen.