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Gasans Gedanken zur Buchmesse (III)

Gasan Gusejnov10. Oktober 2003

Unser Reporter Gasan Gusejnov, Mitarbeiter der russischen Redaktion von DW-WORLD, ist unterwegs auf der Frankfurter Buchmesse. Er berichtet täglich über Geschehnisse und Neuigkeiten vor und hinter den Verlagsständen.

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Das Web-Tagebuch zur Bücherschau

Chinesische Geschichten im deutsch-russischen Dialog

Die Frankfurter Buchmesse Nr. 55 wird die erste sein, die es erlaubt, Bücher und nicht nur Rechte zu verkaufen. Nach der eigentlichen Fachmesse, versteht sich. Und es ist gut so. Nicht nur, weil damit dem vorweihnachtlichen Handel ein Schub gegeben wird.

Viele Buchhändler werden neue Strategien entwickeln und vielleicht sogar neue oder längst vergessene alte Buchtypen entdecken. Zu den ersteren gehört das zweisprachige Buch - mit einem guten alten Parallel-Text.

Sowohl für Deutschland als auch für einige andere europäische Länder wird das Problem der fremdsprachigen Einwanderer immer aktueller, die rein formal zu der einheimische Mehrheit gehören - wie Russlanddeutsche in der Bundesrepublik oder finnische bzw. karelische Spätaussiedler in Finnland. Daher werden solche Leute von der Statistik gar nicht erfasst. Faktisch aber ist ihre Muttersprache nicht Deutsch, sondern Russisch.

Ein zusätzliches Problem bei der Integration solcher Einwanderer besteht eben daran, dass sie gerade heute dank Entwicklung der modernen Informationstechniken jahrelang in einem fremdsprachigen Medienraum existieren. Im Fall Deutschland sieht das jeder, der am Zeitungskiosk vorbeigeht. Dutzende russische Zeitungen für die hiesige russischsprachige Minderheit sind für die einen Zeichen des zu lobenden Multikulturalismus, für die anderen - ein ungewolltes Hindernis für die Integration.

Anscheinend kann weder die vollständige Assimilation noch die Existenz von sich langsam in Gettos verwandelnden Ortschaften in Deutschland eine gute Lösung sein. Anstatt zweisprachig zu bleiben, entwickeln sich viele Aussiedler in Richtung der bedauerlichen "Halbsprachigkeit". Der einzige Weg wäre, beide Spracheinheiten in einem Raum anzusiedeln. So einen Raum kennt man seit der Erfindung eines vielsprachigen Buches mit dem so genannten parallelen Text. Vor einigen Jahrhunderten ging es um Gebetbücher, später um griechisch-römische Klassiker. Seit einigen Jahrzehnten stagnierte diese Sparte der Literatur immer stärker. Nun hat ein in Weissech i.T. operierender Verlag die alte Schönheit einer Parallelausgabe wiederentdeckt.

Im "Alkyon-Verlag" erscheinen Gedichte und Mini-Prosawerke eines russischen Dichters Wjatscheslaw Kuprijanovs. Der Autor, der selber gut Deutsch spricht und seit Jahrzehnten immer intensiver aus dem Deutschen ins Russische übersetzt, hat DW-WORLD einige fabelhafte Geschichten zur Verfügung gestellt. Das zweisprachige Werk heißt "Muster auf Bambus". Untertitel: "Eurasische Geschichten".

Meinen Sie dabei Russland? - fragte ich den Dichter.
Warum? - antwortete Kuprijanow.
Zu Eurasien gehört, wie er glaubt, der ganze Raum zwischen Pazifik und Ostsee und nicht bloß Länder wie Russland und die Türkei, dessen Territorium sich auf beide Kontinente erstreckt.

Als Beweis erzählt Kuprijanow eine seiner chinesischen Geschichten: Den russischen Text und die deutsche Übersetzung von Manuela Runge findet man auf Seite 14-15 des genannten Buches.

"Einst, in der Zeit des großen Mißtrauens Ausländern gegenüber, versteckte sich ein gewisser Schun in einer Ecke, und als sich Lju, ein Bekannter von ihm, näherte, sprang er hervor und schrie laut: "Ich bin Ausländer! Ich bin Ausländer!" Lju, äußerstes Erschrecken mimend, kreischte vor Entsetzen: "Ein Ausländer! Ein Ausländer!"

Schun begriff, daß er einen Bock geschossen hatte und rannte schleunigst davon. Seit dieser Zeit wartet Lju darauf, daß er Schun dessen boshaften Streich heimzahlen kann. Doch vergeblich. Und die Dinge des Lebens ließen Gras darüber wachsen. Schun schrie nie wieder dergleichen, versteckte sich aber weiterhin in Ecken.

Damit es solche Leute wie ihn in einer Gesellschaft nicht mehr gebe, wäre es doch wirklich gut, wenn man die Häuser wirklich rund baute".