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'I have a dream'

4. April 2008

Vor 40 Jahren, am 4. April 1968, wurde Martin Luther King ermordet. Barack Obama würde ihn als Leitfigur gerne beerben. Doch Gastautor und USA-Kenner Prof. Thomas Jäger ist skeptisch.

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Barack Obama während einer Kundgebung in Denver in Colorado (Quelle: AP)
Barack Obama während einer Kundgebung in Denver in ColoradoBild: AP
Martin Luther King 1964 in Washington, Quelle: AP
Martin Luther King 1964 in WashingtonBild: AP

Als es im amerikanischen Vorwahlkampf darum ging, Martin Luther King für die eigene Kampagne zu reklamieren, überboten sich die Frau des ersten schwarzen Präsidenten der USA, wie sich Bill Clinton nennen ließ, und der erste aussichtsreiche farbige Bewerber um das Präsidentenamt in Lobreden. Martin Luther King ist eine Ikone der amerikanischen Politik und insbesondere der Demokratischen Partei. Darin kommt ihm nur John F. Kennedy gleich, dessen Tochter Caroline in einer Hymne in der Zeitung "New York Times" Barack Obama als "A President like my Father" feierte - als einen Präsidenten wie ihren Vater.

Obama wurde der Kandidat der Schwarzen

Kurze Zeit nachdem beide Kandidaten Martin Luther King ehrten und als erkennbar wurde, welche Kraft und Spannweite Obamas rhetorische Flügel haben, standen die Wahlen in South Carolina an. Bill Clinton erklärte ihn bewusst zum schwarzen Kandidaten, um seine Rolle für die ethnischen Gruppen zu zerstören und ihn auf die schwarze Wählerschaft zu beschränken. Dies gelang zumindest teilweise, denn Obama wurde nun wirklich der Kandidat der Schwarzen. Aber eben auch der Kandidat vieler anderer.

Dabei startete Obama in die Vorwahlen mit der Hypothek, nicht schwarz genug zu sein, und die prägenden Erfahrungen der schwarzen Bürgerinnen und Bürger in den USA nicht gemacht zu haben. Er könne, hieß es zu Anfang des Jahres 2008, keine neue Seite im Buch zwischen Schwarzen und Weißen aufschlagen, weil er die alten Seiten nicht kenne. Dies wurde im Konflikt um seinen Pastor Jeremiah Wright erneut thematisiert. Seine überragende Rhetorik, sein ausgeklügelter Szenenwahlkampf und massive Fehler in Hillary Clintons Wahlkampf bewirkten erstmals, dass ein Farbiger Präsident der USA werden kann. Das gilt, egal wer die Kandidatur und die Wahl schlussendlich gewinnt.

Obama ist nicht Martin Luther King

Ist Obama damit der Martin Luther King des beginnenden 21. Jahrhunderts? Wird er für die schwarze Bevölkerung und darüber hinaus eine ähnliche Rolle spielen, sie inspirieren und soziale sowie politische Orientierung geben? Hier komme ich zu einem skeptischen Urteil und das aus zwei Gründen.

Ethnische Mehrfachidentitäten als Normalität

Erstens haben sich die USA seit den 1950er und 60er Jahren erheblich verändert. Sie sind ethnisch vielfältiger und weniger weiß und protestantisch geworden. 40 Prozent der "Millennial Generation" - der zwischen 1982 und 2003 Geborenen - ist von afro-amerikanischer, lateinamerikanischer, asiatischer oder gemischter Herkunft. Diese Gruppe wird zukünftig immer mehr Einfluss auf das soziale und politische Leben der USA gewinnen. Obamas Inszenierung als Afro-Amerikaner und gleichzeitig über den ethnischen Gruppen stehend, wird wahrscheinlich das Rollenmodell der Zukunft sein. Im Identitätsdiskurs der USA gelten ethnische Mehrfachidenditäten schon jetzt als normal.

Martin Luther Kings Erbe im 21. Jahrhundert

Zweitens inszeniert Obama sich zwar als Leitfigur einer politischen Bewegung, ist aber vor allem ein Politiker mit großem Gespür für öffentliche Stimmungen. Diese beiden Rollen kommen in Konflikt, wenn er politische Entscheidungen treffen muss. Sollte er wirklich Präsident werden, sind seine Anhänger gut beraten, enttäuschungsresistent zu sein. Denn er wird nur wenig von dem halten können, was er derzeit verspricht. Im Washingtoner Politikbetrieb kommen öffentliche Reden rasch an ihre Grenzen.

Prof. Dr. Thomas Jäger

Viel interessanter am Erbe des Martin Luther King scheint mir zu sein, wer über den engen Diskurs um ethnische Unterschiede hinaus die Bürgerrechte in einer Zeit zunehmender sozio-ökonomischer und politischer Ungleichheit sowie umfassender kommunikativer Beobachtung stärken wird. Damit wäre Martin Luther King im 21. Jahrhundert angekommen.

Thomas Jäger ist Professor für internationale Politik und Außenpolitikanalyse an der Universität Köln.