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Identität statt Politik

10. Februar 2008

Für Thomas Jäger ist es die Gretchenfrage: Stärkt der lang anhaltende Zweikampf zwischen Hillary Clinton und Barack Obama die US-Demokraten, oder ergeben sich daraus eher Nachteile für die eigentliche Wahl im November?

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Bild: DW
Das Medieninteresse galt schon bisher eher dem demokratischen Wettstreit. Hillary Clinton ist aus unterschiedlichen Gründen sehr vielen Menschen bekannt und das Interesse an ihr stieg über die Jahre. Barack Obama entwickelte in kurzer Zeit geradezu ikonenhaften Status. Seine Veranstaltungen werden von vielen Tausenden Menschen besucht. Eine seiner Reden wurde von will.i.am vertont und in kurzer Zeit millionenfach abgerufen. Und als Super Tuesday zu später Stunde John McCain und Barack Obama fast zeitgleich ihre Reden hielten, schaltete MSNBC, McCain ausblendend, direkt zu Obama. Management-Präsidentschaft Die Konzentration der Berichterstattung wird in den nächsten Tagen, in denen weitere Vorwahlen anstehen, weiter zunehmen und am Ende werden beide Kandidaten allen Bürgern der USA vertraut sein. Das ist bedeutsam, denn der Bekanntheitsgrad ist für die Wahlentscheidung nicht zu unterschätzen. Diese lang anhaltende Auseinandersetzung könnte deshalb im November ein großer Vorteil des demokratischen Bewerbers werden. Jedenfalls dann, wenn man annimmt, dass Frauen beide Kandidaten für gleich wählbar halten und nur jetzt mehrheitlich Clinton wählen und es die schwarzen Wähler genauso halten. Dagegen spricht, dass beide Kandidaten unterschiedliche Arten der Präsidentschaft anstreben und sich dies in ihren Kampagnen deutlich niederschlägt. Clintion strebt - Stichwort Erfahrung - eine Management-Präsidentschaft an und spricht deshalb immer wieder über konkrete politische Ziele, politische Managementaufgaben und Pläne, Pläne, Pläne. Ihre missverständliche Aussage über Martin Luther King und Präsident Lyndon B. Johnson wird überhaupt erst verständlich, wenn man erkennt, welche Vorstellungen sie vom Präsidentenamt hat. Der Präsident managt die politischen Vorhaben - und Erfahrung lässt ihn (gleich welches Geschlecht) eher erfolgreich sein. Vision des Wandels Obama ist hingegen weniger konkret in seinen Planungsvorhaben, er spricht von der Vision des Wandels, begeistert die Menschen zu politischer Teilhabe und verspricht einem neuen politischen Geist in Washington. Vor allem gelingt es ihm, die Bürger zu Wahlentscheidungen zu motivieren. Das ist ein Schlüssel zum Verständnis der demokratischen Vorwahlen. Soviel Wahlbegeisterung war lange nicht. Er wird darin mit John F. Kennedy verglichen und hat seine Auftritte in das Licht dieses Mythos gestellt. Beide mobilisieren zudem dadurch, dass erstmals eine Frau und ein Nichtweißer Chancen auf den Einzug ins Weiße Haus haben. Der enorme Wahlsieg Obamas in Louisiana ist beispielsweise allein der überwältigenden schwarzen Unterstützung zu verdanken. Ob sich diese Mobilisierung, nachdem sich spätestens im August ein Kandidat durchgesetzt hat, einfach auf den anderen übertragen lassen wird?

In beiden Kampagnen - besonders bei Obama - geht es vordergründig derzeit nicht um Politik, sondern um Identität. Während in politischen Fragen Kompromisse möglich sind, lassen sie sich in Identitätsfragen hingegen nur selten finden. Zwar verfügen Menschen über vielfache Identitäten - als Frau, als Farbige, als Angestellte und Südstaatlerin beispielsweise - aber eine in einer langen politischen Auseinandersetzung provozierte und deshalb dominante Identität wird sich möglicherweise nicht in wenigen Wochen ändern und auf ein anderes Kandidatenprofil übertragen lassen. Für die Mobilisierung der Wähler im November wird es enorme Auswirkungen haben, ob die demokratische Partei auf die Frage nach den Wirkungen des langen Vorwahlkampfes die richtige Antwort finden kann.



Thomas Jäger ist Professor für internationale Politik und Außenpolitikanalyse an der Universität Köln.

Thomas Jäger