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Politik

Was mit dem Fall von Afrin verloren geht

Kommentarbild PROVISORISCH | Rainer Hermann, FAZ & Klett-Cotta
Rainer Hermann
15. März 2018

Die türkische Armee hat Afrin eingekesselt und die NATO sieht weg. Obwohl die Region geradezu vorbildlich war, bleiben die Kurden auf sich selbst gestellt, meint Rainer Hermann von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Türkische Armee nimmt Berg Baraja in Syrien ein
Bild: picture alliance/AA/E. Sansar

Türkische Truppen haben im Norden Syriens die kurdische Stadt Afrin eingekesselt. Zwei Monate nach dem Beginn der Operation "Olivenzweig" ist der Fall der Stadt und der gleichnamigen Region nur noch eine Frage der Zeit. Wenn die türkischen Bodentruppen beginnen, die Stadt in einem Häuserkampf einzunehmen, stehen blutige Tage und womöglich Wochen bevor. Denn die mehr als 100.000 Einwohner Afrins, überwiegend kurdische Zivilisten, sind nicht bereit, ihre Heimat über den letzten Korridor zu verlassen, der Afrin Richtung Aleppo mit der Außenwelt verbindet.

Kurden auf sich allein gestellt

Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) sind im Kampf gegen die zweitgrößte Armee der NATO auf sich allein gestellt. Zwar hatte die reguläre syrische Armee nach dem Beginn der türkischen Offensive erklärt, sie werde mit den Kurden die Souveränität Syriens verteidigen. Nachdem die türkische Luftwaffe ihre Stellungen bombardiert und Russland die syrische Armee zum Rückzug aufgefordert hatte, war von ihr jedoch nichts mehr zu sehen.

Autor Rainer Hermann
Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen ZeitungBild: picture-alliance/dpa

Um eigene Verluste zu minimieren, setzt die Türkei Kampfflugzeuge ein, die auch Städte wie Afrin bombardieren, sowie Söldner, die zuvor in Syrien in islamistisch-dschihadistischen Milizen gekämpft hatten oder aber in turksprachigen Staaten rekrutiert worden sind. Unter ihnen sollen sich auch Uiguren befinden. Die westliche Welt blickt indes tatenlos auf den Krieg, die Bundesregierung hat sogar neue Waffenexporte in die Türkei genehmigt.

Die türkische Führung zieht die Eroberung in Syrien aus zwei Gründen durch: Innenpolitisch schart Präsident Erdogan auf diese Weise die Nation hinter sich. Erdogan muss spätestens 2019 als Präsident bestätigt werden, dann hat er nahezu unbeschränkte Vollmachten. Außenpolitisch kontrolliert die Türkei nun mit Afrin und der östlich davon gelegenen Region Dscharabulus einen Teil Nordsyriens. Ankara hat zu verstehen gegeben, dass es diese Position nun nicht mehr abgeben werde. Über Rathäusern weht bereits die türkische Flagge. In der kurdischen Region sollen syrische Flüchtlinge angesiedelt werden, die sich in der Türkei aufhalten.

Rückschlag für einen besseren Nahen Osten

Vor zwei Jahren hat Erdogan erstmals den Vertrag von Lausanne 1923 in Frage gestellt, der die heutigen Grenzen der Türkei festlegt. Seither drucken türkische Zeitungen die Landkarte der türkischen Unabhängigkeitsbewegung, auf welcher der Korridor von Aleppo bis Mossul ebenso als Teil der Türkei eingezeichnet ist, wie die Inseln in der Ägäis, die vor dem türkischen Festland liegen, und zu Griechenland gehören.

Mit der türkischen Eroberung von Afrin droht ein verheißungsvolles politisches Modell zu fallen. Denn in Afrin sind alle ethnischen und konfessionellen Gruppen in die Selbstverwaltung einbezogen, die Gleichheit von Mann und Frau wird umgesetzt. Anstelle des früheren arabischen Zentralstaats und anstelle eines angeblich "Islamischen Staats" wurde in Afrin seit 2013 eine pluralistische und dezentralisierte Demokratie praktiziert. Der bevorstehende Fall von Afrin ist daher ein Rückschlag im Kampf für einen besseren Nahen Osten.

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