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Gauck-Kür belastet Koalitionsklima

20. Februar 2012

Nach der parteiübergreifenden Kür des Bundespräsidenten-Kandidaten Gauck hat das Ringen um die Interpretationshoheit begonnen. Ist die Kanzlerin umgefallen? Massiv gestört ist jedenfalls das Klima zwischen Union und FDP.

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Joachim Gauck (Foto: dapd)
Bild: dapd

Nun also doch Joachim Gauck. Der ostdeutsche Theologe und ehemalige DDR-Bürgerrechtler dürfte im kommenden Monat von der Bundesversammlung mit übergroßer Mehrheit zum neuen Bundespräsidenten gewählt werden. Daran gibt es keinen ernsthaften Zweifel mehr - schließlich haben sich die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP sowie die Oppositionsparteien SPD und Grüne auf den 72-Jährigen als gemeinsamen Kandidaten verständigt. Einzig die Partei "Die Linke", die an den Beratungen der anderen Parteien nicht teilnehmen durfte, kritisiert Gaucks Nominierung scharf. "Es ist schwer, von einem Konsenskandidaten zu sprechen, wenn mehr als fünf Millionen Wähler von vornherein ausgegrenzt werden", sagte der Parteivorsitzende Klaus Ernst. Fraktionschef Gregor Gysi kündigte an, die Linkspartei werde Gauck nicht wählen.

"Gewaltiger Vertrauensbruch"

Gaucks Nominierung am Sonntagabend war ein offenes Kräftemessen zwischen den Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP vorangegangen, dessen weitere Eskalation Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel nur durch ihr Einlenken abwenden konnte. Während sich das FDP-Präsidium einstimmig für den von SPD und Grünen favorisierten Gauck ausgesprochen hatte, lehnte ihn die Unionsspitze zunächst ab. Als Nachfolger für Christian Wulff hatte die Union den früheren Bundesumweltminister Klaus Töpfer oder den Ex-Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, favorisiert.

Parteichefs mit Gauck bei Pressekonferenz (Foto: dapd)
Berlin, Sonntagabend: Gauck inmitten der ParteichefsBild: dapd

Huber und Töpfer wurden jedoch von der FDP abgelehnt. Auf einer Präsidiumssitzung der Liberalen seien die Personalvorschläge der Union als "Provokation" gewertet worden, hieß es aus Parteikreisen. Die FDP habe gegenüber der Union vehement auf Gauck bestanden und dabei auch einen schweren Konflikt in der Koalition in Kauf genommen. Entsprechend groß ist die Verstimmung in Unionskreisen. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Michael Kretschmer, warf der FDP einen "gewaltigen Vertrauensbruch" vor. Dies werde sich womöglich auch auf die weitere Koalitionsarbeit auswirken, verlautete aus Berlin. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe versucht derweil, die Wogen zu glätten. Er rate nun dazu, "nicht öffentlich nachzukarten".

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wusste mit Blick auf die Konsensfindung zu berichten: "Das war überhaupt nicht friedlich. Die FDP ist erstaunlicherweise nicht umgefallen - dafür aber die Kanzlerin." Dass sich Merkel erst nach langem Ringen für den ehemaligen Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde entschied, habe einen "einzigen Grund" gehabt: "Frau Merkel hätte eingestehen müssen, dass sie (bei der Präsidentenwahl) vor zwei Jahren einen Fehler gemacht hat." 2010 hatten Union und FDP den am vergangenen Freitag zurückgetretenen Christian Wulff nominiert. Er konnte sich damals nur knapp gegen den von SPD und Grünen nominierten Gauck durchsetzen.

"Überwältigt und ein bisschen verwirrt"

Auch wenn sich die Kanzlerin wohl einen anderen Kandidaten gewünscht hätte, am Sonntagabend würdigte sie den ehemaligen Bürgerrechtler: Sie sei sicher, dass Gauck den Deutschen wichtige Impulse geben und wieder Vertrauen in die Demokratie und die freiheitlich-demokratisch Grundordnung vermitteln könne, sagte Merkel. SPD-Chef Sigmar Gabriel meinte: "Ich bin sicher, dass inzwischen alle (...) die nicht erfolgte Wahl von Gauck vor zwei Jahren bedauern." FDP-Chef Philipp Rösler ging auf die jüngsten Querelen nicht ein. In der gemeinsamen Pressekonferenz nannte er es einen "guten Anfang", dass parteiübergreifend ein so guter Kandidat gefunden worden sei. Es werde Gauck gelingen, verloren gegangenes Vertrauen in das höchste Staatsamt zurückzubringen. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer, der kommissarisch bis zur Wahl Gaucks als Staatsoberhaupt fungiert, nannte die Nominierung Gaucks eine "gute Entscheidung für unser Land". Grünen-Chefin Claudia Roth zeigte sich überzeugt, Gauck werde der Demokratie wieder Glanz verleihen.

Gauck soll neuer Bundespräsident werden

Gauck selbst sagte, er sei über die Nominierung "überwältigt und ein bisschen verwirrt". Die Vorschusslorbeeren wolle er sich jetzt verdienen. Wichtig sei für ihn gewesen, dass Merkel und die anderen Parteien ihm Vertrauen entgegen gebracht und ihre Hochachtung zum Ausdruck gebracht hätten. Als seine Hauptaufgabe verstehe er es, dass wieder mehr Menschen "Ja sagen zur Verantwortung". Zugleich warnte der 72-Jährige vor der Erwartung, dass er "ein Supermann und fehlerloser Mann" sei.

wa/sti (dpa, rtr, afpd, afp)