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Gayle Tufts: "Ich bin für menschliche Kandidaten"

Das Gespräch führte Mathis Winkler 16. August 2005

Sie gilt als die "deutsche Bette Midler" und "Königin des Denglish," der Mixtur aus Deutsch und Englisch: Gayle Tufts. Die Entertainerin sprach mit DW-WORLD über das Problemkind Deutschland und die Bundestagswahlen.

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Joschka Fischer gehört zu Tufts Politik-FavoritenBild: Gayle Tufts

Tufts, in Brockten, Massachusetts geboren und 1990 nach Deutschland gekommen, zog kürzlich aus ihrem Apartement in Berlin in ein "süßes, kleines Haus mit einem Apfelbaum" in Norddeutschland. Dort arbeitet sie derzeit an ihrem Buch "Miss Amerika". Im kommenden November wird sie mit einer Weihnachtsshow zurück in Berlin sein, ein Kabarett geben, direkt neben dem Kanzleramt.

DW-WORLD: Wie geht es Deutschland Ihrer Meinung nach?

Gayle Tufts: Das arme Deutschland durchläuft gerade eine harte Zeit. Es lässt den Kopf hängen wie ein trauriger Sack. Es ist wirklich eine Schande, dass guten Menschen schlimme Dinge widerfahren. Das Land musste das Trauma des Krieges bewältigen - daran haben sie hart gearbeitet, Vergangenheitsbewältigung betrieben.

Dann die Wiedervereinigung - wer hätte gedacht, dass die Wiedervereinigung so gut verläuft in einem so regulierten Land. Vielleicht wäre eine Vereinigung mit Luxemburg oder Italien einfacher gewesen, weil die Menschen dort flexibler sind.

Die Deutschen mögen es, wenn die Dinge jene Wege gehen, den sie gehen sollen. Sie mögen es, wenn ihre Züge pünktlich sind.


Was muss in Deutschland passieren, damit es dem Land wieder besser geht?

Gayle Tufts und Hillary Clinton
Die Politik Hillary Clintons gefällt Gayle TuftsBild: Mike Fröhling

Die Situation in Deutschland erinnert mich an meinen älteren Bruder, der in Boston lebt und lange Zeit arbeitslos war. Ich sage ihm: "Du hättest zum College gehen sollen, als du die Chance dazu hattest. Du hättest nicht so viel Bier trinken sollen, so viel mit Freunden rumhängen, so viel Basketball schauen sollen."

Niemand kann in einem Land mit so viel Arbeitslosigkeit leben. Jemand wird die starren Regelungen aufbrechen müssen, die es in Deutschland gibt. Es ist in einer globalen Welt nicht möglich, die Arbeiter so stark zu schützen, wie es in Deutschland der Fall ist. Die Menschen wollen die Dinge immer perfekt haben, aber nichts ist perfekt. Die Herausforderung für die politische Führung wird sein, einen Weg zu finden, das Beste aus einer Situation zu machen, die eben nicht perfekt ist.

Gerhard Schröder oder Angela Merkel? Auf wen fällt Ihre persönliche Wahl?

Gayle Tufts und Klaus Wowereit
Tanzen mit Berlins Bürgermeister, Klaus WowereitBild: Gayle Tufts

Ich darf hier nicht wählen, also neige ich dazu, mich raus zu halten. Aber ich hoffe, die Deutschen gehen wählen. Ich hoffe, dass die Menschen, die ein wenig misstrauisch den politischen Errungenschaften der SPD und den Grünen gegenüber sind, trotzdem zur Wahlurne gehen und nicht sagen: "Das ist nicht wichtig."

Ich bin für Schröder, er ist ein guter Mann. Er ist menschlich. Ich bin für menschliche Kandidaten. Meine Favoriten sind Joschka Fischer und Klaus Wowereit. Ich weiß nicht viel über Angela Merkel, aber sie scheint kein allzu warmherziger Mensch zu sein. Sie scheint alle Kriterien zu erfüllen: Sie ist eine Frau, sie kommt aus Ostdeutschland - aber bedeutet das, dass sie die richtige Kandidatin ist? Andererseits - die arme Frau: Es wurden mehr Artikel über ihre Haare als über ihr politisches Programm geschrieben. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken, was immer das auch bedeuten würde.

Was mögen Sie an Deutschland?

Ich mag die Ehrlichkeit. Deutsche können so unglaublich ehrlich sein und alles ist so tiefgründig. Es gibt viele stupide Sendungen im Fernsehen, aber am nächsten Tag gibt es zwölf Kommentare in den Zeitungen und jeder redet darüber. Die Deutschen mögen es, Dinge zu diskutieren. Ich persönlich habe schon oft davon profitiert und bin nachdenklicher geworden.

Was mögen Sie nicht an Deutschland?

Gayle Tufts
Gayle TuftsBild: Gayle Tufts

Die Ernsthaftigkeit macht mich manchmal verrückt. Ich würde den Menschen gerne sagen: "Werdet locker. Seid ein bisschen freundlicher!" Ich vermisse dieses entspannte amerikanische "How you doin?". Ich mag es nicht, dass die Menschen immer "nein" sagen, wenn etwas gerade nicht in den Plan passt. Man sollte zuerst darüber nachdenken, bevor man nein sagt. Wie im Theater. Da muss man fünf Monate im Voraus Bescheid geben, welchen Typ eines Mikrofons man haben möchte - das ist der Mangel an Spontanität, der mich verrückt macht.