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Gazeas: "Landesverrat lag immer fern"

Jan D. Walter10. August 2015

Nach fast drei Monaten hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen die Blogger von Netzpolitik.org eingestellt. Das zeuge von einer befriedigenden Rechtslage, sagt Strafrechtexperte Nikolaos Gazeas.

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Symbolbild Landesverrat
Bild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Deutsche Welle: Herr Gazeas, fast drei Monate lang wurde ermittelt, dann hat Justizminister Heiko Maas den Generalbundesanwalt ausgetauscht. Sechs Tage später sind die Ermittlungen nun eingestellt worden. Gab es jemals einen stichhaltigen Verdacht auf Landesverrat?

Nikolaos Gazeas: Der Verdacht des Landesverrats lag von Anfang an fern. Und zwar aus genau den beiden Gründen, die nun auch zur Einstellung des Verfahrens geführt haben: Zum Einen wurde offensichtlich kein Staatsgeheimnis verraten, und zum Anderen lag keine vorsätzliche Schädigung der Staatsinteressen vor. Laut Gesetz ist der Täter des Landesverrats nur schuldig, wenn er die Absicht hat, die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen. Bei einer journalistischen Veröffentlichung wie dieser liegt dieser Verdacht absolut fern.

Nun dürften die Verteidiger der ehemaligen Verdächtigen eigentlich die Ermittlungsakten einsehen. Zumindest heute durften sie das aber nicht. Ist das legal?

b#Akteneinsicht ist eines der zentralsten Rechte eines Beschuldigten und muss den Anwälten in jedem Fall gewährt werden. Daher war ich sehr verwundert zu lesen, dass der Generalbundesanwalt die Akteneinsicht offenbar verwehrt hat. Wenn das tatsächlich so ist, wäre das im Sinne des Strafprozessrechtes eindeutig rechtswidrig.

Nikolaos Gazeas, Uni Köln
Nikolaos Gazeas lehrt Strafrecht und Nachrichtendienstrecht an der Universität KölnBild: Universität zu Köln

Netzpolitik.org berichtet, der Generalbundesanwalt berufe sich darauf, dass ein vertrauliches Gutachten des Bundesverfassungsschutzes in den Unterlagen läge. Wäre das ein Grund?

So berechtigt das Geheimhaltungsinteresse des Verfassungsschutzes sein mag, das allein erlaubt dem Generalbundesanwalt nicht, die Akteneinsicht zu verwehren. Das vertrauliche Gutachten könnte nur durch ein förmliches Verfahren per Sperrerklärung von der Einsicht ausgenommen werden. Zuständig dafür wäre das Bundesinnenministerium als oberste Aufsichtsbehörde des Bundesverfassungsschutzes.

Abgesehen von dem fraglichen Gutachten: Welche Informationen könnten noch in der Ermittlungsakte stecken?

Insgesamt bin ich optimistisch, dass die Einsicht viel Licht ins Dunkel bringen kann. Zum Einen wird man der Akte entnehmen können, ob Überwachungsmaßnahmen vom Generalbundesanwalt und vom Bundeskriminalamt erwogen oder gar beantragt worden sind. Die beiden ehemals beschuldigten Journalisten befürchteten ja vor allem, ihre Telekommunikation könnte überwacht worden sein. Zum anderen dürfte man der Ermittlungsakte entnehmen können, wer als erstes auf die Idee gekommen ist, wegen Landesverrats zu ermitteln.

Warum wurde hier überhaupt gegen Journalisten ermittelt. Sind es nicht - wenn überhaupt - die Whistleblower in den Behörden, die sich strafbar gemacht haben?

In der Tat haben sich diejenigen Geheimnisträger strafbar gemacht, die die geheimhaltungswürdigen Informationen herausgegeben haben. Journalisten sind aber keine Geheimnisträger. Umso mehr hat es mich verwundert, dass sich die Ermittlungen wegen Landesverrats überhaupt gegen die Blogger gerichtet haben.

Die nun weiterlaufenden Ermittlungen wegen Geheimnisverrats richten sich daher auch nicht gegen die Blogger. Die könnten sich zwar rein theoretisch der Beihilfe zum Geheimnisverrat schuldig gemacht haben, aber die ist für Journalisten nicht rechtswidrig und damit nicht strafbar. Genau dazu hat der Gesetzgeber - nach der Cicero-Affäre 2012 - einen eigenen Absatz in das betreffende Gesetz eingefügt, um die Pressefreiheit zu stärken.

Insofern sind wir mit der geltenden Rechtslage ganz gut aufgestellt. Das zeigt auch die Tatsache, dass erstmals seit der Spiegel-Affäre 1962 wegen Landesverrats ermittelt wurde.

Dennoch ist hier und da von einer Strafrechts-Reform die Rede. Was halten Sie davon?

All diese Überlegungen stecken noch in den Kinderschuhen. Wenn sich die gegenwärtige Aufregung gelegt hat, ist Zeit genug, einen etwaigen Reformbedarf mit kühlem Kopf zu prüfen. Akuten Reformbedarf sehe sich nicht. Schon gar wenn man sich ansieht, wie das Verfahren gegen die Blogger von Netzpolitik.org verlaufen ist, gehe ich nicht davon aus, dass in absehbarer Zeit in vergleichbaren Fällen noch einmal ein Ermittlungsverfahren gegen Journalisten eingeleitet wird. Denn ein solches Verfahren - und das ist spätestens seit heute klar - ist zur Einstellung verdammt.

Nikolaos Gazeas lehrt Strafrecht und Nachrichtendienstrecht an der Universität Köln. Das Interview führte Jan D. Walter.