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Wie die Arme eines Kraken

23. April 2009

Die EU will die Abhängigkeit von russischem Gas verringern. Sie sucht nach neuen Lieferanten und Transitwegen. Moskau hat ganz andere Pläne: Der Staatskonzern Gazprom soll seine Vormachtstellung ausbauen.

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In Nordrussland auf der Halbinsel Jamal fiel im Dezember 2008 der Startschuss für ein neues Mammutprojekt von Gazprom. Am sibirischen Polarmeer will der russische Staatskonzern in den kommenden Jahrzehnten große Mengen an Erdgas fördern. Eine neue 2.500 Kilometer lange Pipeline ist im Bau. Das Gas ist für Europa bestimmt.

Russland unternimmt mit dem Projekt eine gewaltige Investition. Kein Wunder, dass es dem Land nicht gefällt, wenn sich die Europäische Union mit Hilfe neuer Pipelines wie Nabucco nach anderen Lieferanten umschauen will, meint der Politologe Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der Weltpolitik“. „Gazprom versucht, Russland ein Monopol für die Gasversorgung des eurasischen Raums zu verschaffen. Das ist ein strategisches Ziel. Deshalb will man verhindern, dass Gas aus Eurasien - an Russland vorbei - nach Europa strömt“, sagt Lukjanow.

Wie die Arme eines Kraken

Russland will seinen Einfluss in Europa weiter ausbauen: Der lukrative Endkundenmarkt ist ein Ziel, neue Pipelines – ein anderes. Der viel zitierte Traum von der Energiesupermacht Russland lasse sich in handfeste Wirtschaftspolitik fassen, meint Tatjana Mitrowa, Energieexpertin an der russischen Akademie für Wissenschaften: „In der Energieaußenpolitik gibt es drei wichtige Prioritäten: Erstens die Sicherstellung pünktlicher Lieferungen. Zweitens der Gewinn neuer Kunden, also die Diversifizierung der Exportmärkte. Und drittens der Ausbau der Lieferwege. Das heißt, man will Pipelines bauen und Flüssiggas transportieren können.“

Während Europa auf Konferenzen immer noch vergeblich um eine gemeinsame Energiepolitik ringt, schafft Russland Fakten, indem das Land mit einzelnen EU-Mitgliedern den Bau von weiteren Pipelines vereinbart. Wie die Arme eines Kraken sollen russische Pipelines Europa umschließen und an ausgewählten Orten das Gas ins Land lassen. Derzeit plant Gazprom vor allem zwei Projekte. Durch die North Stream, die so genannte „Ostsee-Pipeline“, soll ab 2012 Gas von St. Petersburg nach Deutschland strömen. Ihr Pendant im Süden, South Stream, soll Europa an der Ukraine vorbei mit Gas versorgen. Die geplante Route führt durch das Schwarze Meer, Bulgarien und den Balkan bis nach Italien. Regierungschef Wladimir Putin hat noch als russischer Präsident dafür den Grundstein gelegt.

Ehrgeizige Pläne

Seit Putins Machtantritt im Jahr 2000 wird Gazprom wieder vom Kreml gesteuert. Gazproms Interessen sind Staatsinteressen. Gazprom-Chef Alexej Miller gilt als enger Vertrauter Putins. Das Großunternehmen mit 330.000 Mitarbeitern sitzt auf 17 Prozent der weltweiten Gasreserven. Ehrgeiziges Ziel ist es, den Konzern mit Zukäufen in Europa und Übersee zum größten Unternehmen der Welt auszubauen. Konzernchef Alexej Miller gibt sich zuversichtlich, dass die Projekte zu finanzieren sind, auch wenn im Zuge der Wirtschaftskrise die Gaspreise fallen. Miller sagte beim Baubeginn der Jamal-Pipeline im Dezember: „Die Preise werden im ersten Quartal 2009 zwar ein wenig sinken, aber ausreichend hoch bleiben. Der Erlös wird weiterhin mehr als ausreichen, um unsere Projekte zu finanzieren.“

Hohe Kosten

Viele Analysten bezweifeln jedoch, dass der Optimismus gerechtfertigt ist. Die Erschließung neuer Vorkommen wie Jamal oder Schtokman in der Barentssee verschlingt Milliardensummen. Und der Konzern ist schon jetzt hoch verschuldet. Schätzungen zufolge liegen die Verbindlichkeiten bei rund 50 Prozent des Jahresumsatzes des Unternehmens. An den Investitionen führt jedoch kein Weg vorbei. Denn wichtige Gasfelder auf russischem Territorium werden bald erschöpft sein. Bereits jetzt kann Gazprom seine Lieferverpflichtungen gegenüber Europa nur erfüllen, indem es Gas aus Zentralasien aufkauft. Auch aus diesem Grund ist Russland froh, dass die EU derzeit das Nabucco-Projekt nur mit geringer Kraft vorantreibt. Denn wenn Zentralasien an Russland vorbei sein Gas nach Europa verkaufen würde, wäre es für Russland noch schwieriger, seine Vormachtsstellung auf dem Gasmarkt zu halten.

Autor: Erik Albrecht / Mirjana Dikic

Redaktion: Bernd Johann