Geburtstag eines Störenfrieds
20. Mai 2009Die treibende Kraft bei der Gründung eines evangelischen Kirchentages war Reinold von Thadden-Trieglaff. Der aus Pommern stammende Theologe wollte ein Protestantentreffen, das sowohl über den eigenen Glauben als auch über das weltliche Engagement und die Arbeit in der Ökumene diskutiert.
Bereits 1954 in Leipzig - die ersten Kirchentage fanden noch jährlich statt - konnte Reinold von Thadden-Trieglaff zum Abschluss vor 650.000 Menschen eine erste Bilanz ziehen: "Vor fünf Jahren wusste noch kaum jemand in Deutschland etwas vom Kirchentag. Jetzt dürfen wir ohne Übertreibung sagen, dass er aus der deutschen Kirchengeschichte nach dem furchtbaren Zusammenbruch von 1945 nicht mehr wegzudenken ist." Die Kirchentage in den 1950er-Jahren waren durch die Nachkriegsgeschichte geprägt. Im Vordergrund stand das Treffen gleich gesinnter Protestanten, denen an einer Stärkung des Glaubens liegt.
Neue Wege
Doch in den 1960er-Jahren ging vom Kirchentag eine Aufbruchstimmung aus, die sich gegen den Muff unter den Talaren richtet. "In der Tat herrscht das Schema der Verwaltung, wie es das Zeitalter des Absolutismus geprägt hat, noch heute in unserer Kirche vor", sagte von Thadden auf dem Kirchentag 1963.
Ende der 1960er-Jahre gingen die Macher neue Wege. 1969 feierte das "Politische Nachtgebet" Premiere. Aus den Veranstaltungen des Kirchentages heraus wurden politische Resolutionen verfasst - doch die Teilnehmerzahlen sanken weiter. 1973 kamen nur noch 7500 Teilnehmer zum Düsseldorfer Kirchentag.
Mehr Politik
Dann, mit einer stärkeren Beteiligung der Basis und der Entwicklung neuer liturgischer Feiern wuchs das Interesse. Beim Kirchentag 1977 in Berlin, als erstmals der Markt der Möglichkeiten die breite Arbeit evangelischer Gruppen und Initiativen präsentierte, kamen 130.000 Menschen zur Eröffnung.
Der Kirchentag, der sich immer als "Zeitansage" der gesellschaftlichen Diskussion versteht, wurde immer politischer - vor allem 1981 in Hamburg, als der Widerstand gegen die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen immer lauter wurde. Der damalige Verteidigungsminister Hans Apel hatte Mühe, seine Position darzulegen. Demonstranten in Totengewändern stürmten die Bühne, übergossen sich mit blutroter Farbe, Eier flogen aus dem Publikum.
Dann wurde es stiller und grauer
Hamburg war der Höhepunkt der Politisierung des Kirchentages. Seit den 1990er-Jahren wurde es meditativer, spiritueller, ruhiger - zum Beispiel mit einer "Halle der Stille".
Der Kirchentag hat bis heute viele schillernde Seiten. Beispielsweise die der Weltkirche, wenn sich etwa Bischof Desmond Tutu als ein stolzer Südafrikaner präsentiert, der sich gegen falsches Mitleid wehrt.
Eigentlich war der Kirchentag immer auch ein Treffen der Jugend - in den vergangenen zwei Jahrzehnten aber ist er etwas ergraut. Um wieder mehr Jugendliche zu begeistern, setzen die Organisatoren nun verstärkt auf Musik - wie beim Kölner Kirchentag vor zwei Jahren, als die Wise Guys das Kirchentagsmotto besangen.
Autor: Michael Hollenbach
Redaktion: Kay-Alexander Scholz