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100 Jahre Flutung Flanderns

Bernd Riegert28. Oktober 2014

Auch mit Wasser und Schlamm kämpften die Belgier vor 100 Jahren gegen die Deutschen. An den "Großen Krieg" wird in Nieuwpoort und Ypern mit einer internationalen Feier erinnert.

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Belgien König Albert Denkmal in Nieuwpoort (Foto: Bernd Riegert/DW)
Bild: DW/B, Riegert

Vor 100 Jahren waren die übermächtigen deutschen Invasoren in der kleinen belgischen Küstenstadt Nieuwpoort an der Nordsee eingefallen. Hier trafen fünf Flüsse und Kanäle aus den flachen Marschlandschaften auf die Nordsee. Mit einem komplexen System aus Kanälen und Schleusen wurden die flandrischen Felder entwässert, die unter dem Meeresspiegel liegen. Ein belgischer Offizier kam in seiner Verzweiflung auf die Idee, die deutsche Seite der Front in einigen riesigen See zu verwandeln, um den schnellen Vormarsch durch Belgien zu stoppen. König Albert I., der die belgische Armee in diesem letzten verbliebenen Zipfel Westflanderns ganz im Nordwesten Belgiens kommandierte, stimmte zu. Vier Nächte lange wurden die Wehre und Schleusen unter Beschuss von deutschen Scharfschützen von zwei Zivilisten geöffnet. Die Fluten der Nordsee drangen ein, und tatsächlich: Die deutsche Armee blieb in Wasser und Schlamm stecken.

Belgien Entwässerungsgraben in den Marschen des Flusses Ijser (Foto: Bernd Riegert/DW)
Entwässerungsgräben an der Ijser als Waffe: Heute grasen hier Kühe, vor 100 Jahren stiegen die FlutenBild: DW/B, Riegert

Der belgische Historiker Patrick Vanleene hält die Flutung Flanderns für einen entscheidenden Wendepunkt des Ersten Weltkrieges. "Weil das die deutsche Invasion in Belgien zum ersten Mal zum Stehen brachte. Es verwandelte den Krieg der Bewegung in einen Krieg der Schützengräben. Vier Jahre lang. So kennen wir den Ersten Weltkrieg: als Stellungskrieg im Graben auf beiden Seiten", sagte Vanleene der DW in Nieuwpoort.

Belgier verehren ihren König für seinen Mut

Da, wo die alten Schleusen standen, haben die Belgier ihrem König Albert I. ein kreisrundes Denkmal aus gelben Backsteinen gesetzt. Hier wird die internationale Gedenkfeier zum Beginn der Flandern-Schlacht abgehalten. Für Deutschland, den damaligen Kriegsgegner und heutigen europäischen Verbündeten, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gesprochen. Sie schaute dabei auf das Denkmal von König Albert. Hinter ihm der Fluss Ijzer, an dem die Front verlief. Albert I. war der einzige Monarch, der im Ersten Weltkrieg selbst in die Kämpfe eingriff. Er weigerte sich, sein Land und seine Armee zu verlassen, obwohl die französischen Verbündeten den König der Belgier lieber im sicheren Exil gesehen hätten.

"Der König hat das bewusst abgelehnt. Denn er wusste, wenn ich mein Land verlasse, dann komme ich wahrscheinlich nicht mehr in mein Land zurück", meint der Historiker Herbert Ruland von der Hochschule in der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Eupen. "Für Belgien bedeutet dieser Kampf an der Ijzer wahrscheinlich das Überleben als Nation."

Belgien Fischhandel Albert in Nieuwpoort (Foto: Bernd Riegert/DW)
Fischhandel "Albert": Überall in Nieuwpoort ist der Soldatenkönig präsentBild: DW/B, Riegert

Albert ist auch nach 100 Jahren in Belgien noch populär. Ein langer Gelenk-Bus der flandrischen Verkehrsbetriebe bringt eine mobile Albert-Ausstellung auf die Dörfer in der Umgebung. Der "Albert-Bus" wird sehr gut besucht, versichert sein Fahrer am Haltepunkt in Nieuwpoort. In der beschaulichen Stadt, die von Fischfang und Touristen lebt, isst man natürlich den Matjes im Fischhandel "Albert". Zum Bier kehren die Flamen in die Kneipe "Zur Albert-Brücke" ein. Die weiße Fassade bröckelt ein wenig, aber sie ist in diesen Tagen mit britischen Fahnen geschmückt, weil britische Truppen an der Ijzer-Front kämpften.

"Dodengang" am Flüßchen Ijzer

Am 29. Oktober 1914 begann in Nieuwpoort ein Gemetzel, das erst 1918 enden sollte. Die Front verlief entlang der Flüsse Ijzer und Ieperlee bis zur Stadt Iepern (Ypern), wo im Frühjahr 1915 von deutschen Truppen zum ersten Mal Giftgas eingesetzt wurde. Entlang der Front hoben Deutsche am östlichen Ufer und alliierte Truppen am westlichen Ufer der Flüsse Hunderte Kilometer von Schützengräben aus. In Diksmuide - auf halber Strecke zwischen Nieuwpoort und Iepern - ist ein Teil des "Dodengangs" nachgebaut, der Schützengräben, die so oft tödliche Fallen waren. Die Touristen können hier heute in den sauber befestigten Gräben mit Holz- oder Schotterboden kaum ermessen, wie unerträglich das Leben für die Soldaten gewesen sein muss. Schlamm, Exkremente, Bombentrichter, Kadaver, Schreie, Regen, Schnee und ständige Todesangst waren die Begleiter im Graben, so Patrick Van Wanzele aus Iepern, der die Schützengräben systematisch erforscht hat.

"Die letzte Generation mit Trauma"

Für die Bevölkerung im westlichen Flandern war der Krieg anfangs eine große Überraschung. Die Bauern und Fischer hatten nicht damit gerechnet, dass die Deutschen ausgerechnet hier ihren Weg nach Frankreich suchen würden. Im Oktober 1914 retteten sich tausende von Flüchtlingen aus dem Osten nach Nieuwpoort und dann kamen die Soldaten, schildert Patrick Vanleene, der eine historische Ausstellung über die Flandern-Schlacht zusammengestellt hat.

"Es war eine totale Panik ausgebrochen, weil die Leute in der Stadt nicht darauf vorbereitet waren. Sie waren nicht darauf vorbereitet, die ganze Armee aufzunehmen, die in der Stadt ankam und in Kirchen und Schulen Schutz suchte." Tausende Menschen mussten wegen der gewollten Überflutung Westflanderns und wegen der ständigen Gefechte Haus und Hof verlassen. Auch die Großeltern von Patrick Vanleene waren betroffen. "Ich bin vielleicht die letzte Generation, die noch dieses Trauma des Ersten Weltkrieg empfinden kann, weil ich noch Großeltern hatte, die darüber gesprochen haben. Meine Großeltern lebten auf beiden Seiten der Frontlinie. Sie mussten alle nach Frankreich fliehen. Einige der Brüder wurden Soldaten und zwei von ihnen starben im Krieg."

Schützengräben des Ersten Weltkriegs bei Diksmuide (Foto: Bernd Riegert/DW)
Nachgebaute Schützengräben in Diksmuide: Nur eine Ahnung des SchreckensBild: DW/B, Riegert

Das Gedenkjahr 2014 zieht viele Besucher an. Überall auf den ehemaligen Schlachtfeldern gibt es Überreste der Stellungen und Soldatenfriedhöfe aller Nationen zu entdecken. Es gibt ausgeschilderte Auto-Rundfahrten und Fahrradtouren vorbei an malerischen Wassergräben, an denen einst gekämpft wurde. In Belgien sind gerade Herbstferien. Viele Kinder sind mit ihren Eltern in Flandern unterwegs. Warum es hier so viele Gräber gibt, auf denen teilweise Mohnblumen aus Papier und Plastik stecken, muss man ihnen immer wieder erklären. Es lohnt sich, meint Patrick Vanleene am König-Albert-Monument in Nieuwpoort. "Ich glaube an die Kraft der Erziehung. Man kann auf interessante Weise in einer Ausstellung den jungen Leuten zeigen, wie vorsichtig sie sein sollten." Die Mädchen und Jungen sollen erkennen, so Valeene, dass Krieg nicht etwas ist, das es nur im Fernsehen gibt.