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Gefährdete Freiheit?

Rainer Sollich28. Juni 2002

Am Montag (1.7.2002) sind es fünf Jahre, seit die britische Kronkolonie Hongkong an China zurückging. Wirtschaftlich hat sich wenig geändert, aber politisch wird die Stadt inzwischen weitgehend von Peking aus gelenkt.

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Die Skyline der ehemaligen britischen KolonieBild: AP

1. Juli 1997, Mitternacht - die Stunde des Abschieds. In Chinas Hauptstadt Peking eine Stunde der Freude. Man zählt die Sekunden mit. Kurz vorher hatte Gouverneur Chris Patten in Hongkong seine letzte Rede gehalten. 156 Jahre hatten die Briten dort geherrscht - auf Basis von Verträgen, die China in Folge des Opium-Krieges aufgezwungen worden waren. Doch die Briten gaben Hongkong zurück als eine Stadt, die unter Kolonialherrschaft reich geworden ist. Der letzte britische Gouverneur gab sich öffentlich optimistisch:"Bürger von Hongkong! Dies ist für ganz Hongkong ein Tag des Feierns, kein Tag der Trauer. Die Geschichte dieser großartigen Stadt, das sind die Jahre bis zu der heutigen Nacht - und es sind die Jahres des Erfolges, die nun mit Sicherheit folgen werden."

Demokratisches Bewusstsein

Ganz ehrlich war dieser Optimismus damals nicht. In Wirklichkeit befürchteten viele Beobachter, Hongkong könne schon bald alle Freiheiten verlieren. Bis zum letzten Moment vor Rückgabe der Stadt gab es Streit zwischen Peking und London. Der kommunistischen Führung in Peking missfiel, dass Großbritannien zwei Jahre vor Ende der Kolonialherrschaft noch schnell demokratische Reformen in Hongkong eingeleitet und ein Parlament gegründet hatte. Nach Meinung vieler Kritiker kam dieser Schritt allerdings zu spät. In der kolonial beherrschten Finanzmetropole hatte sich schon vorher demokratisches Bewusstsein geregt. Ein Beispiel: Als demokratische Organisationen 1989 zu einer Großdemonstration gegen die Niederschlagung des Studentenaufstands in Peking aufriefen, zog es jeden sechsten Hongkonger Bürger zum Protestieren auf die Straße.

Der Versuch der Briten, noch in letzter Minute Fakten zu schaffen, schlug fehl. Mit der Machtübergabe setzte China das neue Parlament sofort wieder außer Kraft und installierte stattdessen einen 800-köpfigen Legislativrat von eigenen Gnaden. Kein gutes Vorzeichen für Hongkongs Wiedereingliederung nach dem Prinzip "Ein Land, zwei Systeme". Denn die Formel besagt: Hongkong gehört zwar formell wieder zur Volksrepublik China, bleibt aber die nächsten 50 Jahre lang autonome Sonderverwaltungszone - mit allen gewohnten Freiheiten und unter Beibehaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems.

Mehr Freiheiten als auf dem Festland

Obwohl die halbherzigen Demokratisierungsversuche der Briten rückgängig gemacht wurden: Die schlimmsten Befürchtungen traten nicht ein. Keine Panzer rollten durch Hongkong, keine einzige Partei oder Zeitung wurde verboten. Hongkong geriet zwar wirtschaftlich ins Schleudern, der Grund dafür waren aber keine kommunistischen Einwirkungsversuche vom Festland, sondern die Asienkrise.

Tatsächlich ist fünf Jahre nach dem Machtwechsel in der ehemaligen Kolonie immer noch vieles möglich, was auf dem Festland Repressionen oder massive Polizeieinsätze auslösen würde. Zum Beispiel kritische Medienberichte über die Arbeit der Verwaltung oder öffentliche Massendemonstrationen. Auch die territoriale Abgrenzung zu Festland-China blieb deutlich: Aus Furcht vor einer Massenmigration ins wohlhabende Hongkong ist Festland-Chinesen die Einreise dort bis heute nur unter ganz bestimmten Umständen erlaubt.

Keine echte Demokratie

"Wer einen neuen Rolls Royce vor die Tür gestellt bekommt, wird in der Regel nicht gleich am Motor rumfummeln." Mit diesen Worten hatte Ex-Gouverneur Patten vor fünf Jahren versucht, Ängste vor einem immer dominierenderen Einfluss Pekings zu zerstreuen. Patten meinte, die Kommunisten könnten kein Interesse haben, durch fragwürdige Experimente alle bisherigen Erfolge in Hongkong zunichte zu machen.

Wirtschaftlich war dies eine zutreffende Prognose - doch eine echte Demokratie durfte Hongkong nicht werden. Ein kompliziertes Wahl- und Ernennungssystem garantiert, dass im Legislativrat stets Peking-freundliche Kräfte die Oberhand behalten. Der Regierungschef wird von einem Gremium ernannt, dessen Mitglieder von China handverlesen sind. Zudem tritt zum fünften Jahrestag der Machtübergabe am 1. Juli ein Gesetz in Kraft, laut dem die Minister nicht mehr durch die Legislative bestätigt werden müssen. Das so gebildete neue Kabinett hat der weithin unpopuläre Regierungschef Tung Chee-Hwa bereits am vergangenen Montag (24. Juli 2002) öffentlich vorgestellt.

Druck auf die Medien

Schon seit einiger Zeit nimmt auch der Druck auf die Medien zu. Bei der renommierten englischsprachigen "South China Morning Post" zum Beispiel mussten in den vergangenen Monaten zwei China-kritische Journalisten ihren Hut nehmen. Offenbar ein Fall von wirtschaftlich motivierter Selbstzensur durch die Verlagsleitung. Einer der beiden Journalisten, Willy Wo Lap-Lam, erklärte unlängst im dem ARD-Hörfunk wie dies funktioniert: "Hongkongs Medienzaren sind meist gut befreundet mit der chinesischen Führung. Und sie haben Geschäftsinteressen in China. Deshalb können Chinas Politiker ihre Entscheidungen sehr leicht beeinflussen." So werde bei einem gemeinsamen Abendessen beiläufig erwähnt, dass ihnen diese Sendung oder jener Zeitungsartikel nicht gefallen hat. "Der Medienboss verstehe die Botschaft und wird daraufhin entsprechende Berichte unterdrücken oder die betroffenen Journalisten ausgrenzen," erklärt der Journalist.

Kritiker befürchten, dass nun schrittweise eine Aushöhlung aller demokratischen Freiheiten in Hongkong droht. Beunruhigende Anzeichen gibt es durchaus. Allerdings kann Peking kein Interesse haben, das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme" allzu offensichtlich auszuhebeln. Dies würde nicht passen zu einem China, das sich selbst immer weiter modernisiert und der Außenwelt öffnet. Und es wäre auch äußerst kontraproduktiv für Chinas Bemühungen um eine Wiedereingliederung Taiwans - ein Schritt, der ausdrücklich nach Hongkonger Vorbild erfolgen soll. China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und die Wiedervereinigung als nationale Prestigefrage. Und wenn Hongkong seinen prosperierenden und freiheitlichen Charakter verlöre, würde dies auf Taiwan den Wiedervereinigungs-Gegnern in die Hände spielen.