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Jahr sieben der Krake

Nina Werkhäuser, Berlin21. Oktober 2008

Der neue Anschlag auf die Bundeswehr geschah im Jahr sieben des internationalen Kampfes um Sicherheit und Stabilität in Afghanistan. Eines Kampfes, der offenbar nicht zu gewinnen ist. Nina Werkhäuser kommentiert.

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Bild: DW

Die deutschen Soldaten können in Afghanistan noch so sehr auf der Hut sein - gegen Selbstmord-Attentäter sind sie machtlos. Jeder Afghane, der sich einer Patrouille nähert, könnte potenziell Sprengstoff am Leib tragen und bereit sein, sich zusammen mit seinen Opfern in die Luft zu sprengen. Es spielen friedlich Kinder in der Nähe? Auch das ist kein Garant für Sicherheit, hat der Selbstmord-Attentäter am Montag (20.10.2008) doch auch fünf Kinder mit in den Tod gerissen.

Neue Arme

Die Taliban bekannten sich auch zu diesem Anschlag. Der Gouverneur der Provinz Kundus sprach von Selbstmord-Attentätern, die aus Pakistan eingesickert seien. Kämpfer der Taliban, die mit ihrer Guerilla-Taktik gezielt die NATO-Truppe ISAF angreifen und sich anschließend wieder ins Grenzgebiet zu Pakistan zurückziehen - ein solcher Feind ist militärisch kaum zu besiegen. Er ist wie ein Krake, dem immer wieder neue Arme wachsen.

Das Reservoir an Selbstmord-Attentätern scheint groß zu sein - sie wollen keine NATO-Soldaten in Afghanistan. Die Antwort der NATO: mehr Soldaten. Erst in der vorherigen Woche hat der Bundestag beschlossen, bis zu 1000 zusätzliche Bundeswehr-Soldaten nach Afghanistan zu schicken. Nicht zuletzt deshalb, weil die Zahl der Anschläge steigt und die deutschen Feldlager immer wieder mit Raketen beschossen werden.

Zweifel

Auch wenn die NATO nicht an Abzug denkt, so säen die Angreifer doch Zweifel in den Heimatländern der Soldaten. Als im August gleich zehn französische Soldaten in Afghanistan fielen, stand das Land wochenlang unter Schock. Die Niederländer haben genug davon, ihre Soldaten im gefährlichen Süden Afghanistans zu verlieren und werden das Feld in absehbarer Zeit räumen. Und auch im Deutschen Bundestag waren die 96 Nein-Stimmen in der Woche zuvor ein Gradmesser dafür, dass etliche Abgeordnete in der Mission keinen Sinn mehr erkennen können.

Aber während die Entscheidungsträger zu Hause höchstens in rhetorische Fallen tappen können, drohen den Soldaten in Afghanistan echte Sprengfallen - und damit Verwundung oder der Tod. Diese permanente Gefahr macht die Soldaten noch misstrauischer und nervöser: Als in diesem Sommer ein deutscher Soldat eine Frau und zwei Kinder erschoss, vermutete er einen Selbstmord-Attentäter in dem Fahrzeug, das plötzlich am Checkpoint wendete. So etwas war in den sieben Jahren des Einsatzes bis dahin nicht passiert.

Eingebunkert

Die wachsende Bedrohung führt dazu, dass die Soldaten sich im Feldlager einbunkern und der Kontakt zur Bevölkerung schwindet, die dann ebenfalls feindseliger wird. Dass eine solche "Distanzierungsspirale" dem Wiederaufbau in Afghanistan nicht zugute kommt, liegt auf der Hand. Noch sei die Mehrheit der Afghanen im relativ ruhigen Norden gut auf die Deutschen zu sprechen, sagen die Generäle. Wenn diese Unterstützung aber weiter schwindet, dann steckt darin eine Bedeutung für den gesamten NATO-Einsatz: Es könnte sein, dass der Kampf für ein stabiles und friedliches Afghanistan nicht mehr zu gewinnen ist.